Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
die Namen ihrer Kinder. Und sie vermochten den Adligen ihres Gefolges ein Gefühl von Kameradschaft und Verbundenheit zu vermitteln, das sein Vater oft mit Schwurfreundschaften besiegelt hatte, die so unverbrüchlich waren, dass sie alle Stürme überdauert hatten. Doch Otto wusste, er selbst besaß diese Gabe nicht. Er erweckte vielleicht Ehrfurcht. Respekt bei den Feinden, die er besiegte. Aber Freundschaft oder gar Liebe nur bei den wenigen, die ihm nahe genug kamen, um zu wissen, wer er war. Dass er bei allem, was er tat, nur das Ziel vor Augen hatte, das Leben auch für den Geringsten seiner Untertanen besser und sicherer zu machen. So wie der Große Karl es getan hatte. So wie Edithas Großvater es getan hatte. Und so wie Gott es von einem christlichen Herrscher forderte …
»Wenn ich in meinem Bruder und meinem Schwager keine Ergebenheit wecken kann, muss ich sie wohl lehren, mich zu fürchten.« Er stand auf, öffnete die Tür und hieß die Wache, den Kämmerer zu rufen.
»Was hast du vor?«, fragte Editha.
»Ich schicke Hadald als Gesandten nach Lothringen. Er kann lesen und schreiben und uns berichten, was er über Giselberts Truppenstärke und Hennings sächsische Verbündete herausfindet. Und sobald der Schnee auf dem Hellweg geschmolzen ist, ziehe ich ihnen mit einer Streitmacht entgegen und lehre sie das Fürchten.«
Er mochte unfähig sein, sich der Treue seiner Untertanen und seiner Brüder zu versichern. Aber er hatte noch niemals eine Schlacht verloren.
Birten, März 939
»Jesus, erbarme dich«, murmelte Vater Widukind, bekreuzigte sich und blickte über den gewaltigen Strom aufs andere Ufer. »Wenn es stimmt, was die Männer sagen, dass der König noch niemals eine Schlacht verloren hat, dann wird heute das erste Mal sein.«
Tugomir nickte. »Er ist Henning geradewegs in die Falle gegangen.« Er wandte den Kopf und blickte zum König hinüber, der keine zehn Schritte entfernt im Sattel saß und ebenso wie sie auf die andere Rheinseite starrte. Nichts regte sich in Ottos Gesicht, aber es war so bleich, als habe er eine Wunde erhalten, aus der sein Lebensblut entströmte. Und in gewisser Weise war es so, wusste Tugomir.
Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen. Dank der Warnung seiner Schwester hatte Otto viel schneller gehandelt, als die Verschwörer in Lothringen sich hätten träumen lassen. Der König hatte den sächsischen Adel zu den Waffen gerufen und bei der Gelegenheit festgestellt, dass die überwältigende Mehrheit nach wie vor auf seiner Seite stand. Gewiss, einige einflussreiche Männer, die Gäste bei Hennings Verschwörermahl in Saalfeld gewesen waren, hatten den Aufruf ignoriert, aber zusammen mit den Panzerreitern hatte Otto ein Heer von beängstigender Größe aufgeboten und in Eilmärschen nach Westen geführt. Wieder einmal hatten seine Detailversessenheit und sein Organisationstalent sich als segensreich erwiesen: Trotz der Eile und der Größe der Truppe mangelte es weder an Proviant noch an Waffen, Zelten oder Pferden. Und je weiter sie nach Westen kamen, desto milder wurde die Witterung.
Sie waren den Hellweg entlanggezogen, der sie schließlich auch zu Hennings Burg in Dortmund führte. Kein anderer als der doppelzüngige Agila befehligte die Garnison, und als er die königlichen Truppen sah, hatte er sich plötzlich an Thankmars Schicksal erinnert, die Burgtore geöffnet und war dem König entgegengeeilt, um sich ihm zu Füßen zu werfen.
Otto hatte die strategisch so wichtige Festung in Dortmund einem vertrauenswürdigeren Kommandanten unterstellt und war dann weitermarschiert, bis sie an das Ufer dieses gewaltigen Stroms gekommen waren.
Tugomir war der Aufforderung, mit dem König zu ziehen, nur widerwillig gefolgt. Ottos Kriege im Westen kümmerten ihn nicht. Er hatte auch kein Interesse daran, nach der Schlacht die verwundeten Panzerreiter zusammenzuflicken, auf dass der König sie als Nächstes gegen die slawischen Völker aussenden konnte. Das Einzige, was Tugomir wollte, war, in seinem Haus in Magdeburg sitzen und ins Feuer starren, an das Havelland und die Brandenburg denken, an Thankmar und an Alveradis und alles andere, was er verloren hatte, und auf einen Besuch seiner Vila warten, damit sie ihm vielleicht zeigte, was zum Henker die Götter eigentlich noch von ihm wollten.
Doch Otto hatte seine Einwände ungeduldig beiseitegefegt. Er brauche Wundärzte, und Tugomir sei nun einmal der Beste. Ich habe dir dein Schwert zurückgegeben, also nimm
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