Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
davon verspricht, seinen rechtmäßigen König zu verraten, weiß Gott allein. Aber seit die Ungarn in Lothringen gewütet haben und der König uns keine Truppen zur Verteidigung schicken konnte, höre ich Giselbert wieder und wieder raunen, dass es Lothringen besser ging, als es noch zum westfränkischen Königreich gehörte. Otto möge also gewarnt sein: Wenn es zum Äußersten kommt, mag es geschehen, dass Lothringen abfällt. Giselbert ist eitel und geltungssüchtig. Gut möglich, dass er Henning allein aus dem Grund unterstützt, weil es ihm ein Gefühl von Macht vorgaukelt, dem König so schwer zuzusetzen.«
»Gott …« murmelte Otto. »Sie verachtet ihren Mann. Wie grässlich es für sie sein muss, mit ihm verheiratet zu sein. Was haben wir ihr nur angetan?«
Editha betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Es sieht dir ähnlich, dass du zuerst an deine arme Schwester denkst, Otto, aber was bei allen Heiligen wirst du jetzt tun?«
Er hörte die Furcht in ihrer Stimme. »Lies den Rest«, bat er. »Das kann noch nicht alles gewesen sein, denn der Name Eberhard von Franken ist noch nicht gefallen.«
»Sie erwähnt ihn nicht«, antwortete die Königin. »Ich kann meinem Bruder, dem König, nicht raten, was er tun soll, liebste Schwägerin, aber sag ihm, die Lage ist ernst und Giselberts Truppe stark. Ich schätze, sobald das Tauwetter einsetzt, werden sie ausrücken. Möge Gott Giselbert und Henning vergeben.« Editha sah wieder auf. »Das war alles.«
Der König nickte, legte die Nüsse auf den Tisch, mit denen er nervös gespielt hatte, stand auf und trat an das Kohlebecken. Den Blick auf die Flammen gerichtet, sagte er: »Gott sei gepriesen für die Treue meiner Schwester.«
Gerberga war diejenige seiner Geschwister, die ihm im Alter am nächsten stand, und in ihrer Kindheit waren sie einander innig verbunden gewesen. Doch sie war seit über zehn Jahren fort und mit Giselbert verheiratet. Er hätte nicht geglaubt, dass die Geschwisterliebe ihrer Kindheit so lange Ehejahre überdauerte.
»Ich kann einfach nicht fassen, dass Henning es wieder getan hat«, stieß Editha in seinem Rücken hervor. »Er ist … eine widerwärtige Kreatur, Otto.«
»Ich fürchte, das gilt vor allem für meine Mutter. Henning kann nichts dafür, wie du weißt.«
»Oh, aber du kannst doch nicht alles, was er tut, jeden neuen Verrat mit dieser alten Geschichte entschuldigen«, wandte sie ungeduldig ein.
»Aber er ist schuldlos daran, wie er geraten ist«, gab er zurück, wandte sich ihr wieder zu und breitete hilflos die Hände aus. »Im Gegensatz zu ihr .«
»Ich frage mich, wie sie ihm dieses Gastmahl und vor allem die ›Geschenke‹ an die abtrünnigen Grafen finanziert hat, nachdem du ihr die Kontrolle über Quedlinburg entzogen hast.«
»Sie ist trotzdem immer noch eine reiche Frau. Doch wenn sie ihm Geld geschickt hätte, wüsste ich es. Nicht all meine Spione sind so treulos wie Agina. Nein, ich schätze, hier hat tatsächlich Eberhard von Franken seine Finger im Spiel.«
»Bist du sicher?«, fragte sie. »Er ist ein kluger Mann, Otto. Ich hätte gedacht, inzwischen habe er gelernt, dass es keine gute Idee ist, gegen dich zu rebellieren.«
»Ich fürchte, dieses Mal haben die Rebellen einen besseren Plan geschmiedet und glauben deshalb, sie könnten gewinnen.«
»Und was glaubst du?«
Er setzte sich wieder auf seinen Platz und dachte nach. »Ich muss herausfinden, wer die übrigen Männer sind, die Henning unterstützen. Wenn ich Giselbert und Henning entgegenziehen und Sachsen damit den Rücken kehren muss, will ich wissen, wer mir einen Dolch hineinstoßen könnte.«
Editha nickte, schwieg einen Moment und sagte dann behutsam: »Ich weiß, du hörst es nicht gern, mein König, aber vielleicht war der Weg deines Vaters, Schwurfreundschaften mit den Grafen zu schließen, doch der richtige.«
Er rieb sich mit den Fingern der Rechten über die Stirn und nickte unwillig. »Der sächsische Adel hat sich nie gegen ihn erhoben, das stimmt. Aber ich bin nicht wie mein Vater, Editha. Er hatte etwas, das mir fehlt. Diese … Verbindlichkeit. Diese Gabe, mit jedem Mann, egal ob von edler oder niederer Geburt, ein Band zu knüpfen.«
Thankmar hatte dieses Talent geerbt, wusste er. Otto dachte überhaupt oft, dass Thankmar der Sohn gewesen sei, der dem alten König am ähnlichsten war. Beide hatten sich unter die Männer in einem Feldlager mischen können, und am nächsten Morgen kannten sie ihre Geschichten, Geheimnisse und
Weitere Kostenlose Bücher