Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Leuten Unbehagen ein.
Und genau das gedachte Otto sich zunutze zu machen. »Wir werden das Gleiche tun, was Henning und Giselbert versuchen: Wir spielen die Begehrlichkeiten unserer Feinde gegeneinander aus. Henning will meine Krone, darum verbündet er sich mit Giselbert. Giselbert will mehr Unabhängigkeit für Lothringen und verbündet sich deswegen mit König Ludwig. Aber Hugo von Franzien ist im Westfrankenreich mächtiger als der König, und sein Vater trug einst die Krone. Ludwig fürchtet ihn und kann ihm auf dem Feld nicht das Wasser reichen. Wenn König Ludwig von Westen in Lothringen einfällt, wird Hugo auf Laon marschieren. Den Gefallen tut er mir gewiss. Und dann werden wir ja sehen, wie versessen König Ludwig noch auf Lothringen ist.«
Die königlichen Ratgeber nickten anerkennend.
»Hadald, wäret Ihr so gut, zu Hugo von Franzien zu reisen?«
»Nichts lieber als das, mein König. Ich gebe zu, Eure Schwester wiederzusehen, wird mir eine große Freude …« Der Kämmerer strahlte.
»Und wenn wir nach Lothringen ziehen, wie viele Männer wollt Ihr hinführen?«, fragte Graf Manfried. Er war ein so leidenschaftlicher Soldat, dass man ihn kaum je anders als in voller Rüstung sah. Das erregte allgemeine Heiterkeit, aber Otto war es gleich, wenn seine Höflinge Manfried wunderlich fanden. Der Graf war ein hervorragender Stratege, und er war dem König so dankbar dafür, dass der vor den Toren der Eresburg das Leben seines Sohnes geschont hatte, dass seine Treue außer Zweifel stand.
»Das entscheiden wir, wenn Hadald uns Hugos Antwort bringt«, antwortete Otto.
Er wusste, er würde keine Mühe haben, unter Adel und Bauern Freiwillige für seinen Krieg zu finden. Die Schlacht von Birten hatte sich in mehr als einer Hinsicht als Wunder erwiesen, denn sie hatte bewirkt, was Otto selbst nicht vermochte: Sie hatte das Eis zwischen ihm und seinen Untertanen gebrochen. Die Menschen hatten begriffen, dass er Gottes Auserwählter war, und die rückhaltlose Zuneigung, die sie ihm neuerdings entgegenbrachten, bereitete ihm manchmal Unbehagen, denn sie hatte etwas von Heiligenverehrung. »Und wir müssen herausfinden, wie viele Männer Giselbert unter Waffen hat«, fügte er hinzu. »Was hat er vor? Was genau verspricht er sich von diesem Schritt? Und vielleicht noch wichtiger: Was ist mit Eberhard von Franken?«
»Wir wissen es nicht, mein König«, räumte Bischof Bernhard ein. »Er sitzt in Frankfurt und leckt seine Wunden, berichten die Spione des Erzbischofs, aber offen gestanden tut er das jetzt schon viel zu lange, als dass ich es noch glauben könnte.«
»Ihr braucht eigene Spione, die Eberhard und Giselbert überwachen, mein König«, sagte eine Stimme von der Tür. »Männer aus ihrem engsten Umfeld, denen zu misstrauen ihnen niemals in den Sinn käme. Und soweit es Giselbert betrifft, wüsste ich vielleicht schon jemanden, der infrage käme.«
Otto wandte den Kopf zur Tür. Sein Gehör hatte ihn nicht getrogen. »Brun!« Er stand auf, trat seinem jüngsten Bruder entgegen und schloss ihn in die Arme. »Was in aller Welt tust du hier?«
Ein wenig schüchtern erwiderte Brun die Umarmung, trat dann einen Schritt zurück und verneigte sich respektvoll. »Bischof Balderich schickt mich.«
»Mit Nachrichten?«, fragte der König verwirrt.
Sein Bruder nickte. »Auch. Vor allem wollte er, dass ich aus Lothringen verschwinde, ehe Schwager Giselbert auf die Idee verfällt, mich als Geisel zu nehmen. Oder Euren Erstgeborenen. Ich habe mir erlaubt, Wilhelm mitzubringen. Es schien uns das Sicherste.«
»Gott segne Bischof Balderich«, murmelte Otto. Die Gefahr, dass sein jüngster Bruder oder gar sein Sohn seinen Feinden in die Hände fallen und als Druckmittel dienen könnten, hatte er überhaupt nicht gesehen.
»Außerdem soll ich Euch warnen, dass auch einige der lothringischen Bischöfe zu König Ludwig übergehen könnten. Die Lage ist brenzliger, als sie scheint.« Brun schaute seinem Bruder ins Gesicht, seine Miene sehr ernst. »Und das ist der dritte Grund, warum er mich geschickt hat: um in dieser Stunde der Not an Eurer Seite zu stehen und Euch zu raten.«
Otto starrte ihn einen Moment an. Er war bestürzt, weniger über die schlechten Nachrichten, die Brun brachte – an schlechte Nachrichten war er weiß Gott gewöhnt –, sondern vielmehr darüber, dass sein Brüderchen hier plötzlich als Mann vor ihm stand. Ein würdevoller junger Priester. Otto sah in die blauen Augen, die den seinen
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