Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
erpressen oder sogar in Ketten legen mussten, um dich zu hindern.«
Tugomir stieß hörbar die Luft aus.
»Wie viel Zeit ist vergangen seit der Schlacht um die Brandenburg?«, fragte Otto. »Sind es … wirklich schon zehn Jahre?«
»Zehn Jahre, vier Monate und zwölf Tage.«
»Wenn du die Tage zählst, Prinz Tugomir, warum um Himmels willen zögerst du dann, heimzukehren?«
»Und was für eine Heimkehr sollte das sein?«, konterte Tugomir.
Die Mönche, die sich allmählich zur Vesper versammelten, warfen ihnen missfällige Blicke zu, nahmen aber Abstand davon, den König ob der Ruhestörung an diesem heiligen Ort zurechtzuweisen. Immerhin hatte er den heiligen Ort ja gestiftet.
»Soll ich das Knie vor Euch beugen und Euch einen Lehnseid schwören und das Havelland zu Füßen legen? Ich wette, die Heveller wären hingerissen, wenn sie das erführen. Oder soll ich nach Hause gehen, um ihnen zu erklären, dass Gero zwar ein Schlächter und Gesetzesbrecher ist, sie ihn aber trotzdem weiter erdulden müssen, weil König Otto es so beschlossen hat? Wie genau habt Ihr Euch meine Heimkehr vorgestellt?«
Otto ließ ein paar Atemzüge verstreichen, ehe er antwortete: »Du hast einmal zu mir gesagt, ich müsse mich entscheiden, ob ich dich als Gefangenen oder als Freund wolle. Beides ginge nicht. Erinnerst du dich?«
Tugomir erinnerte sich nur zu gut. Mit einem Hohnlächeln fragte er: »Und auf einmal wäre ich Euch als Freund nützlicher denn als Gefangener und soll Euch dankbar sein? Ich fürchte, Ihr begreift nicht so recht, was Freundschaft bedeutet. Es ist zu schade, dass Ihr Thankmars Tod nicht verhindert habt, denn er hätte Euch allerhand darüber beibringen können.«
Die Miene des Königs verfinsterte sich erwartungsgemäß, aber dann nahm er sich zusammen und beschloss offenbar, den Köder nicht zu schlucken. »Tugomir, ist dir noch nie der Gedanke gekommen, dass Gott hier seine Hand im Spiel hat? Es ist gerade einmal zwei Monate her, dass er dich zu sich geführt hat. Vor einem Monat erst hast du die Taufe empfangen, und doch bist du fester im Glauben als viele, die am Tag ihrer Geburt getauft wurden …«
»Woher wollt Ihr das wissen?«, fiel Tugomir ihm rüde ins Wort.
Der König hob ungeduldig die Schultern. »Weil alle es sagen. Widukind. Bischof Bernhard. Abt Hanno. Und ich sehe es selbst.«
»Mein Glaube ist meine Sache«, knurrte er.
»Nein«, widersprach der König. »In diesem Punkt irrst du dich. Dein Glaube hat alles geändert, begreifst du das denn nicht? Vor deiner Taufe warst du mein Gefangener. Jetzt bist du mein Bruder im Glauben. Ich verlange keinen Eid von dir. Keine Lehenspflichten. Und ich werde auch nicht verlangen, dass du Geros Taten vor den Slawen rechtfertigst.«
»Sondern was? Was wollt Ihr denn eigentlich von mir?«
»Das, was ich immer wollte: Ich bitte dich, deinem Volk den wahren Glauben zu bringen.«
»Auf dass sie zu zahmen Untertanen des ostfränkischen Königs werden.«
Otto nickte mit einem Schulterzucken. »Und auf dass ihre Seelen errettet werden. Aber dazu bedarf es deiner Vermittlung. Tu du das, was Gero nicht kann: Mach den Menschen klar, dass ich über sie herrschen will, auf dass ihr Leben besser wird.«
Tugomir kreuzte die Arme und schüttelte den Kopf. »Ihr seid … sehr überzeugt von der heilspendenden Wirkung Eurer Herrschaft.« Es klang eher unbehaglich als spöttisch.
Otto ging nicht darauf ein. Er sah ihn unverwandt an und sagte leise: »Ich bitte dich inständig, Tugomir. Es gibt niemanden sonst. Das ist etwas, das wirklich nur du tun kannst.«
Ehe Tugomir etwas erwidern konnte, setzte der Vespergesang ein. Sie wandten sich zum Altar, hinter welchem die Brüder in zwei Reihen Aufstellung bezogen hatten und ihre klaren, geschulten Stimmen zum hohen Deckengewölbe aufsteigen ließen. Der König und der Hevellerprinz lauschten, überließen sich der wundervollen Harmonie, und Tugomir ertappte sich bei dem Gedanken, dass eine Schar singender Mönche gewiss am besten geeignet wäre, den musikliebenden Slawen den wahren Glauben näher zu bringen.
Er wartete, bis die Brüder verstummten und ihre Kirche in Zweierreihen, mit gesenkten Köpfen und beinah lautlos verließen.
Tugomir sah ihnen durch das geöffnete Portal nach. Draußen schüttete es unverändert, und die Dämmerung war hereingebrochen.
»Also?«, fragte Otto schließlich.
Tugomir wandte den Kopf und sah ihm ins Gesicht. »Ich habe Bedingungen.«
»Und zwar?«
»Ich will, dass
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