Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
sächsische Joch. Heute vor fünf Tagen schlugen wir Geros Armee am Ufer der Elde. Vernichtend! Haika, Geros Heerführer, ist gefallen, so wie Hunderte weitere. Wir haben über zweihundert Gefangene gemacht. Darum sagt mein Fürst: Geros Macht ist gebrochen. Jetzt ist die Zeit gekommen, da die slawischen Völker sich vereinen müssen. Schließe dich uns an, Fürst Tugomir, und wir können die verfluchten Sachsen aus dem Land jagen und unsere Freiheit wiedererlangen . So spricht Ratibor, Zelibors Sohn, Fürst der Obodriten.« Draschko schaute Tugomir direkt in die Augen, und in den seinen funkelte Triumph. »Ich sehe, die Götter haben meinen letzten Wunsch erfüllt und mir meine Rache gewährt. Jetzt erfährst du selbst, wie es ist, vor einer Wahl zu stehen, bei der es nur falsche Entscheidungen mit grauenhaften Folgen gibt. So wie die, vor die du mich damals gestellt hast. Also, Fürst Tugomir. Wie lautet deine Antwort?«
»Aber was haben die Obodriten überhaupt südlich der Elde verloren?«, fragte Vater Anselm, ein junger Mönch, der zu dem runden Dutzend handverlesener Priester zählte, die Widukind mit hergebracht hatte, um sein Missionswerk zu tun. »Ich dachte, das Land der Obodriten und ihre … wie heißt die größte Festung gleich wieder? Mecklenburg! Ich dachte, es liegt weiter im Norden. In der Mark, die der König seinem Freund Hermann Billung übertragen hat.«
Dragomira nickte. »Doch das Land der Obodriten reicht bis an die Ufer der Elde. Und weil Gero auch den Bruder ihres Fürsten abgeschlachtet hat bei seinem blutigen Gastmahl, haben sie den Fluss überschritten, um Rache zu nehmen.«
»Was wird Tugomir jetzt tun?«, fragte Alveradis.
»Vermutlich wirst du die Erste sein, die das erfährt«, gab Dragomira trocken zurück.
Aber ihre junge Schwägerin schüttelte langsam den Kopf. »Seit er weiß, dass ich guter Hoffnung bin, behandelt er mich vorsichtiger als ein Elfenbeintäfelchen. Er erzählt mir gar nichts mehr. Und ihr seid auch nicht viel besser«, hielt sie ihren Freunden vor.
Mirnia, Rada und der Mönch wechselten schuldbewusste Blicke.
Dragomira konnte sich vorstellen, welch ein Schock es für Alveradis war, plötzlich solche Rücksichtnahme zu erfahren. Die wenigsten Frauen waren an Rücksicht gewöhnt. Sie wurden dazu erzogen, zu gehorchen und ihre Rolle zu erfüllen, Kinder zu gebären und das Haus zu versehen. Und zwar klaglos. Als Geros Tochter hatte Alveradis die Lektion der Anspruchslosigkeit und des Gehorsams gewiss ganz besonders gründlich gelernt.
Dragomira ergriff ihre schmale Hand, die in der Tat so weiß und durchschimmernd wie Elfenbein wirkte. »Du musst ihn verstehen, Alveradis. Dieses Kind ist ungeheuer wichtig für Tugomirs Zukunft hier. Für unser aller Zukunft. Wenn es ein Junge wird und gesund zur Welt kommt, wird selbst Tuglo zugeben müssen, dass der Fürst göttliches Wohlwollen besitzt.«
Alveradis legte die Linke auf ihren kaum gewölbten Bauch, als wolle sie ihr Kind vor den politischen Ränkespielen zwischen Fürsten und Priestern beschützen.
»Was hat der Fürst dem Boten denn nun geantwortet?«, fragte Rada gespannt.
»Er hat ihn mit ein paar höflichen, aber kühlen Worten aus der Halle geschickt«, berichtete Mirnia. »Er werde ihn seine Entscheidung zu gegebener Zeit wissen lassen. Und dann hat er Slawomir aufgetragen, für Draschko ein Quartier im Jarovit-Tempel zu finden. Dervan meint, der obodritische Priester war wütend, dass ihm kein Schlafplatz in der Halle zugewiesen wurde.«
Auf der Reise von Magdeburg hierher hatten Mirnia und Dervan zueinander gefunden. Dragomira war froh für ihre daleminzische Magd und dankte der heiligen Jungfrau, dass Mirnia ihre Angst vor Männern schließlich überwunden hatte, auch wenn das wohl mehr Tugomirs Verdienst gewesen war als das der Gottesmutter. Jedenfalls schlüpften Mirnia und Dervan nachts unter dieselbe Decke, und dort entlockte sie ihm alles, was er im Laufe des Tages gehört hatte, während er dem Fürsten und seinen Ratgebern aufwartete. So hatten die Frauen der Fürstenfamilie es seit jeher gehalten, um zu erfahren, was in der Männerwelt vorging. Dragomira wusste, ihr Bruder hätte ihr erzählt, was vorging, wenn sie ihn gefragt hätte. Aber niemals die ganze Wahrheit.
»Was bleibt ihm anderes übrig, als dem Fürsten der Obodriten eine Abfuhr zu erteilen?«, sagte Rada. »Er hat eine Vereinbarung mit dem König getroffen, oder?«
»Die er nicht einhalten kann, wenn die Heveller ihn
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