Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
er, damit sie ihm auch in Zukunft noch Tribut zahlen konnten, aber er verbot ihnen, ihre Burg wieder aufzubauen, und stellte in Aussicht, sich jedes Jahr seinen Anteil an Armen, Beinen und Zungen zu holen, wenn ihr Silber und ihr Vieh, ihre Felle und Tonwaren und Hühner und Fische ihn nicht zufriedenstellten.
Kunde von diesen furchtbaren Ereignissen hatte die Brandenburg längst erreicht, und darum hatte Tugomir Alveradis mit einem Teil der Eskorte vor den geschwärzten Ruinen des Burgwalls gelassen, als er nach Spandau ritt. Aber als er zurückkam, war sie in Tränen ausgebrochen, als sie ihm ins Gesicht gesehen hatte …
»Ich kann dir zumindest sagen, was nicht zum Wohle der Heveller ist«, antwortete Tuglo. »Nämlich sich einem sächsischen Christenpriester zu unterwerfen, dem du die Herrschaft über das Volk überlassen willst. Kampflos .«
»Es ist nicht meine Absicht, Widukind die Herrschaft abzutreten«, widersprach Tugomir. »Aber wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen, Tuglo: Die Heveller sind ein besiegtes Volk. Mein Vater hat daran nichts ändern können. Dragomir hat daran nichts ändern können, trotz deiner weisen Führung. Ich glaube nicht, dass ich es ändern kann, und wenn ich es versuche, wird nur immer noch mehr Blut fließen. Unser Blut. Nur deswegen bin ich gewillt, die Herrschaft mit Widukind zu teilen.«
»Und wieso glaubst du, dass er sie mit dir teilen wird?«, fragte Godemir neugierig. »Er wäre der erste Eroberer, der das täte.«
»Weil er ein kluger Mann ist und begreift, dass Sachsen und Slawen damit gedient wäre, wenn es uns gelänge, in Frieden miteinander zu leben«, antwortete Tugomir.
»Du hast … großes Vertrauen zu diesem Widukind«, stellte der Jarovit-Priester fest und strich sich über den kurzen, silbrigen Bart.
Tugomir nickte. »Ich kenne ihn. Er mag kein Mann des Schwertes sein, aber er ist entschlossen. Und mutiger als mancher Krieger, den ich kenne. Er ist … ein wirklich guter Mann.«
»Und wenn du dich täuschst?«, entgegnete Godemir. »Was, wenn die Macht ihm zu Kopf steigt, wie es so oft geschieht – selbst bei guten Männern –, und er sie allein ausüben will und uns niedertrampelt so wie Gero?«
Tugomir lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Dann ist immer noch Zeit, uns gegen ihn zu erheben, König Otto seinen Kopf zu schicken und die Folgen zu ertragen.«
»Darin sind wir ja besonders gut«, spöttelte Godemir.
»Ich weiß.«
»Wir sollen dir glauben, du würdest dich gegen den Priester deines neuen Gottes stellen?«, warf Tuglo ein. »Gegen den Mann deiner Schwester?«
Tugomir sah ihm einen Moment ins Gesicht, ehe er antwortete: »Das war jetzt das zweite Mal, dass du mein Wort anzweifelst, Tuglo. Es wäre besser für uns beide, du brächtest mir ein wenig mehr Respekt entgegen. Natürlich würde ich mich gegen ihn stellen, wenn er sein Wort bricht und sich als Tyrann erweist. Ich würde ihn töten. Und er weiß das.«
»Woher?«, fragte Godemir verwundert.
Tugomir zuckte ungeduldig die Achseln. »Was glaubst du wohl? Ich habe es ihm gesagt.«
Die beiden Priester tauschten einen ungläubigen Blick.
»Und er lässt sich einfach so gefallen, dass du ihm drohst? Was für ein Schwächling«, befand Tuglo.
Der Fürst schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe ihm nicht gedroht. Lediglich die Wahrheit gesagt.«
»Und nur ein weiser Mann erkennt den Unterschied«, bemerkte Godemir mit einem Lächeln.
Tugomir atmete verstohlen auf. Er hatte gehofft, dass er wenigstens Godemir für seinen Plan gewinnen konnte, und diese Hoffnung schien mit einem Mal gar nicht mehr so abwegig.
Tatsächlich fuhr Godemir versonnen fort: »Ich denke, wir riskieren nicht viel, wenn wir es mit diesem Widukind versuchen. Es ist, wie du sagst, Fürst, wir …«
»Vergib mir, Fürst Tugomir«, unterbrach Semela von der Tür und durchquerte die Halle mit eiligen Schritten.
Tugomir erhob sich bereitwillig von seinem Fürstenthron, insgeheim erleichtert. »Der Junge mit der Kopfwunde?«
Aber Semela schüttelte den Kopf. »Der Junge wird wieder. Ich hab die Wunde genäht.«
»Und warum schwillt dein Auge zu?«, erkundigte sich der Fürst.
Semela grinste. »Der Holzfäller war von meinen Heilmethoden nicht so ganz überzeugt. Eh seine beiden Brüder ihn packen und zurückhalten konnten, hatte er mir eins verpasst.«
Tugomir setzte sich wieder. »Also?«
»Ein Bote von Ratibor, dem … dem Fürsten der Obodriten«, meldete Semela – unverkennbar
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