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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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stürzen und ihren Göttern opfern, weil sie seine Entscheidungen missbilligen«, gab Bruder Anselm zurück.
    »Tuglo war jedenfalls dafür, mit den Obodriten in den Krieg zu ziehen«, wusste Mirnia noch zu berichten. »In Zeiten, da der Feind von außen die slawischen Völker so schwer bedränge, müssten Heveller und Obodriten ihren Groll gegeneinander begraben, hat er verkündet.«
    »Das ist wohl keine große Überraschung«, antwortete Alveradis beklommen.
    »Und was hatte Godemir zu sagen?«, fragte Dragomira. Sie setzte große Hoffnungen auf den Jarovit-Priester mit dem Silberbart und den gütigen Augen. Anders als Tuglo schien Godemir gewillt zu glauben, dass Tugomir nur das Beste für die Heveller im Sinn hatte. Womöglich konnte der alte Priester ihr wichtigster Fürsprecher bei denjenigen werden, die neuen Ideen, vor allem neuen Göttern mit Argwohn begegneten.
    »Er hat nicht gesagt, wie er über Draschkos Botschaft denkt. Aber er wollte alles darüber hören, wie Tugomir damals die zwölf Krieger der Redarier und der Obodriten gerettet hat.«
    »Also wissen die Priester jetzt, dass Tugomir Otto das Leben gerettet hat und sein Leibarzt war«, schloss Alveradis. »Ich will mir gar nicht vorstellen, was Tuglo dazu gesagt hat.«
    »Trotzdem ist es richtig, dass Tugomir den Priestern gegenüber aufrichtig ist«, erwiderte Dragomira. »Aufrichtigkeit ist eine Tugend, die die Heveller sehr schätzen.«
    Alveradis nickte und wechselte dann das Thema. »Rada, wärst du so gut, zu Dragomirs Witwe zu gehen und sie zu bitten, mir heute Nachmittag eine Stunde Gesellschaft zu leisten? Sag ihr, ich wäre dankbar, wenn sie mich an ihren Erfahrungen teilhaben ließe, weil ihre Schwangerschaft doch schon viel weiter fortgeschritten ist als meine.«
    Rada nickte bereitwillig. »Das hast du dir schlau ausgedacht, Fürstin«, lobte sie.
    »Denkst du, sie wird kommen?«
    »Bestimmt. Es gibt kein Thema, das sie mehr interessiert.«
    Mirnia und Bruder Anselm begleiteten Rada hinaus.
    Als sie allein mit ihrer Schwägerin war, sagte Alveradis: »Tugomir kann dem Gesandten der Obodriten keine Antwort geben, ehe wir wissen, wo mein Vater steht. Wenn er die Befehle des Königs missachtet, wenn er die Gründung des Bistums und Tugomirs Heimkehr als Affront empfindet, bedeutet das Krieg. Und dann können wir die Unterstützung der Obodriten gewiss gut gebrauchen.«
    Dragomira hatte sich schon manches Mal gefragt, was Alveradis dabei empfand, dass ihr Gemahl und ihr Vater erbitterte Feinde waren. »Du sprichst mit erstaunlicher Gelassenheit vom Krieg«, bemerkte sie.
    Doch Alveradis schüttelte den Kopf. »Ich bin alles andere. Aber wir haben immer gewusst, dass diese Gefahr besteht, oder? Ich wünschte, Widukind käme zurück. Damit wenigstens diese Ungewissheit ein Ende hat.«
    Es war einen Moment still. Sie saßen in Dragomiras Gemach, wo sie sich vormittags häufig zu vertraulichen Gesprächen versammelten, die niemand mithören sollte. Es war ein komfortabler Raum: Wollene Behänge und Felle bedeckten die Wände, um die winterliche Kälte abzuhalten, aber jetzt waren Tür und Fensterladen weit geöffnet und ließen die helle Sommersonne herein. Vom nahen Eichenhain des Jarovit-Tempels drangen Blätterrauschen und Vogelstimmen herüber, aber von dem oft lebhaften Kommen und Gehen auf der Burg waren sie hier abgeschirmt. Dragomira saß mit ihrer Schwägerin auf ihrem Bett. Hier hatte sie vor all den Jahren nach dem Fall der Burg auf Otto gewartet – nackt und mit ihren schönsten Schläfenringen geschmückt, furchtsam und erregt zugleich. In diesem Bett hatte der fremde blonde Prinz sie entjungfert, ihr womöglich gleich in dieser ersten Nacht den Samen eingepflanzt, aus dem ihr Sohn erwachsen war. Otto war als behutsamer Liebhaber zu ihr gekommen, nicht als der grausame Eroberer, den die Heveller in ihm sahen, und deswegen barg die Erinnerung an jene Nacht keinen Schrecken. Doch sie schien unendlich weit fort. Jetzt teilte Dragomira dieses Bett mit Widukind.
    Es war eine sonderbare Ironie des Schicksals, dass es ausgerechnet diese Schlafstatt war, wo ihr langes Warten ein Ende gefunden hatte, aber Dragomira hatte sich nicht damit aufgehalten, darüber nachzusinnen. Die unerfüllte Sehnsucht der vergangenen Jahre hatte sie beide geduldig gemacht, und so hatten sie einander in Ruhe entdeckt, sich gegenseitig entkleidet, jeden Zoll des unbekannten Körpers geküsst, den sie freilegten, von einem ungläubigen Staunen erfüllt, dass

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