Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
sei nicht gut genug für eine Prinzessin?«
König Heinrich seufzte verstohlen. »Du weißt genau, dass ich nichts dergleichen glaube. Was der westfränkische König indes denkt, wissen wir nicht. Momentan können wir uns die öffentliche Blöße einer möglichen Abfuhr aus Westfranken nicht erlauben, Thankmar. Zu viel steht auf dem Spiel.«
Thankmar nickte versonnen. Dann stand er auf, wandte sich zur Tür und klopfte Otto im Vorbeigehen die Schulter. »Kein Wunder, dass er dir wegen deines Bastards nicht die Hölle heiß macht. Er scheint zu glauben, dass er selber einen hat.«
Magdeburg, August 929
Die Vila nahm sein Handgelenk und zog seine Linke aus dem Wasser. »Schau in den Spiegel und du wirst sehen.«
Er richtete den Blick auf die Wasseroberfläche. Kleine ringförmige Wellen strebten von der Stelle, wo seine Hand gewesen war, nach außen, aber nach und nach wurde die Oberfläche still, und er sah ihr Spiegelbild. Sie war schön, wie alle Vily, schön und vollkommen unnahbar, auf eine gleichgültige Weise. Ein mattes Leuchten ging von ihr aus, das ihre Haut durchsichtig wirken ließ.
»Zeig mir die Brandenburg«, verlangte er. »Zeig mir, ob die Heveller den Winter überlebt haben. Und mein Vater. Und Dragomir.«
Zuerst blieb das Bild im Spiegel unverändert; er sah nur die flirrenden Blätter der Silberbirke, unter der er saß, ein Stück blauen Himmel und die geisterhafte Reflexion der Vila. Aber dann nahm das Flirren zu, der Spiegel verdunkelte sich, und Tugomir sah die Halle des Fürsten der Heveller. Sein Vater stand mit zweien seiner Krieger und Tuglo, dem Hohepriester des Triglav, zusammen. Das Feuer überzog ihre Gesichter mit rötlichem Lichtschein, und ihre Mienen waren angespannt. Der Fürst hielt einen Becher in der Linken und nahm einen tiefen Zug, während er dem Priester lauschte. Zu seinen Füßen hockte Dragomir, Boliluts kleiner Sohn, im Sand und spielte mit einem hölzernen Pferd. Unbemerkt von den Männern schaute der Knabe plötzlich auf, und es war, als blicke er Tugomir direkt an.
»Wie konntest du das zulassen?«, fragte er, die dunklen Augen so voller Schrecken und Schmerz wie in der Nacht, als sein Vater gefallen war. »Wie konntest du tatenlos zusehen, während sie das ganze Volk der Daleminzer abgeschlachtet haben?«
»Ich konnte nichts tun, Dragomir«, versuchte Tugomir zu erklären. »Die Flussgeister waren über sie gekommen. Sie hatten zu nah am Wasser gelagert, und das Wasser war böse.«
»Die Flussgeister waren über sie gekommen?« Jetzt war es die Stimme der Vila, die er hörte, und sie klang auf schauderhafte Weise amüsiert. »Ist das wirklich wahr? Oder waren die Flussgeister über dich gekommen, und du hast deswegen geschwiegen und keinen Finger gerührt?«
»Wie niederträchtig du bist«, bemerkte er – angewidert, aber ohne Überraschung. Er kannte seine Vila schon seit vielen Jahren. Trotzdem war er nicht sicher, ob er immer in der Lage war, ihre Weisheit von ihrer Tücke zu unterscheiden. »Ich konnte nichts tun. Außer zuschauen, genau wie König Heinrich gesagt hat. Ich war der Zeuge.«
»Und bedauerst dich dafür.«
Er dachte einen Augenblick darüber nach. »Auf jeden Fall bin ich zornig darüber. Ich habe Anno getötet, weil die Götter es wollten, und trotzdem bin ich verflucht und muss Zeuge der Gräueltaten meiner Feinde sein und ein Gefangener bleiben und darf nie wieder heimkehren. Wieso? Ich … kann es nicht verstehen.«
»Oh, du wirst heimkehren, Prinz Tugomir«, ein boshaftes Vergnügen schwang jetzt in ihrer Stimme. »Schau in den Spiegel und sieh.«
Er schüttelte den Kopf. Er wollte nichts mehr sehen. Aber die Vila hielt immer noch sein Handgelenk und ließ ihm keine Wahl. Und es war wieder die Halle der Brandenburg, die er sah, nur er selbst saß jetzt auf dem prachtvoll geschnitzten Sessel des Fürsten. Seine Rechte hielt ein blutverschmiertes Messer mit einer matten, grauen Klinge, und ein junger, aber erwachsener Dragomir lag tot zu seinen Füßen.
Tugomir schrie entsetzt auf, kniff die Augen zu und riss seine Hand aus dem Klammergriff der Vila. Als er die Lider wieder aufschlug , lag er im hohen Gras am Ufer des Fischteichs, weit und breit keine Vila in Sicht. Stattdessen kniete Semela vor ihm und sah ihn mit furchtsam aufgerissenen Augen an, beinah genauso wie Dragomir eben im Spiegel.
»Mann, dieser Traum muss es aber wirklich in sich gehabt haben …«, stieß der Junge hervor.
»Das war kein Traum.« Tugomir
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