Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
so zahm, dachte Tugomir bitter. Aber was er sagte, war: »Dein Sohn braucht keine Zauberformeln, sondern Efeu.«
»Efeu?«, wiederholte die junge Mutter misstrauisch, mit bebender Stimme. Dann lachte sie auf, und es klang hysterisch. »Was sollen wir mit Efeu, du heidnischer Teufel?«
»Halt’s Maul«, fuhr Udo sie an.
»Er wächst hier überall, zum Beispiel am Tempel eures Gottes. Nimm einen Beutel oder eine Schale, wir brauchen reichlich. Pflück die Blätter, möglichst die jungen.« Und weil Udo sich nicht gleich rührte, schaute Tugomir sich kurz um, entdeckte neben einem ungeschickt gezimmerten Schemel einen Ledereimer, hob ihn auf und drückte ihn dem verängstigten Vater in die Finger. »Beeil dich.«
Während Udo hinausging, ließ der Hustenkrampf nach. Der kleine Junge entspannte sich, sank in die Arme der Mutter und weinte matt.
Tugomir trat an die Bettstatt und befahl der Frau: »Mach Wasser heiß. Es muss kochen.«
Zögernd ließ die junge Frau ihr krankes Kind los. Dann stand sie auf, sprach leise zu ihrer Tochter und schickte sie mit einem Holzgefäß zum Brunnen, während sie selbst behutsam in die Asche der Feuerstelle in der Raummitte blies, bis ein paar Funken aufglommen. Sie legte Reisig auf, schließlich ein bisschen Holz, stellte einen kleinen Dreifuß über das Feuer, hängte einen Kessel daran und wartete auf das Wasser. Der Rauch des Feuers stieg zum rußgeschwärzten Strohdach auf und verschwand dort durch ein kleines Loch.
Udo und seine Tochter kamen gleichzeitig zurück, und die ganze Familie sah schweigend zu, während Tugomir eine Handvoll Blätter in eine Tonschale warf und schließlich mit kochendem Wasser übergoss. »Und jetzt warten wir.«
»Wie lange?«, fragte Udo – geradezu lächerlich schüchtern.
Solange es dauert, die obere Brandenburg einmal auf dem Wehrgang zu umrunden , hörte Tugomir die Stimme des alten Dobromir sagen, der ihm alles über Heilkräuter beigebracht hatte, was er wusste. Vorausgesetzt, du trödelst nicht und starrst nicht wieder stundenlang auf die Havel hinab, mein Prinz … Beinah musste Tugomir bei der Erinnerung lächeln. Dobromir war ein ebenso alter Priester gewesen wie Schedrag, aber anders als der Hohepriester hatte er es nie erstrebenswert gefunden, die Geschicke seines Volkes oder die Gedanken seines Fürsten zu lenken, sondern hatte Erkenntnis im Wesen aller wachsenden Dinge gesucht, genau wie Tugomir. Im vergangenen Sommer war er gestorben, und sie hatten ihn in einer würdevollen Zeremonie verbrannt, das Feuer so gewaltig, dass man glauben konnte, die aufstiebenden Funken wollten sich zu den Sternen am nachtblauen Himmel gesellen.
Tugomir rührte im Efeusud und ließ ihn prüfend vom Löffel tropfen, um die heftige Anwandlung von Heimweh zu vertreiben. »Noch ein Weilchen«, antwortete er. »Habt ihr Honig im Haus?«
Die Frau nickte.
»Gib einen Löffel voll in einen Becher. Der Junge wird den Sud bereitwilliger trinken, wenn er süß ist, und Honig gibt ihm neue Kräfte.«
»Wird … wird dein Sud Hatto wieder gesund machen?«, fragte das Mädchen ehrfürchtig.
Tugomir schärfte sich ein, sie nicht anzulächeln, ihr erst recht nicht über den Schopf zu streichen. Die Sachsen hatten alle Daleminzerkinder zu Waisen gemacht. Genau wie Dragomir. Er hatte keinen Herzschlag lang gezögert, dem Kleinen zu helfen, weil sein Heilerinstinkt offenbar schneller zur Stelle gewesen war als sein Hass. Aber er sah keine Veranlassung, diesem Mädchen Trost zu spenden. »Das wissen wir morgen.«
Er stand von der Bettkante auf, um den bangen Blick nicht länger sehen zu müssen, seihte den Sud durch ein mäßig sauberes Tuch ab und füllte ihn in den Becher mit dem Honig. Den reichte er Udo. »Hier. Zwei Becher am Tag. Die kommende Nacht wird vermutlich noch einmal schlimm. Gebt ihm in sechs Stunden noch einen Becher. Und ihr müsst den Sud jeden Tag frisch zubereiten. Hast du gesehen, wie er gemacht wird?«
Udo nickte. »Hab Dank, Prinz Tugomir.«
»Spar dir deinen Dank. Du schuldest mir einen Gefallen.«
»Ich weiß.«
»Jetzt bring mich zurück.« Tugomir verließ die Hütte ohne Gruß und ohne das kranke Kind noch einmal anzusehen.
Schweigend wie auf dem Hinweg geleitete Udo ihn zurück in die Pfalz, und Tugomir ging zu dem armseligen Grubenhaus unweit des Fischteichs, das man ihm am Tag ihrer Ankunft hier zugewiesen hatte. Es war eines Prinzen ganz und gar unwürdig: Von der niedrigen Tür führten drei Stufen hinab auf den
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