Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Mühe. Er ritt zurück zu dem kleinen See im Wald, denn es war ein Ort voll guter Magie, die er sich zunutze machen wollte. Er badete im nachtschwarzen Wasser, legte sich dann nackt ins Ufergras und ließ sich von den Flussgeistern in den Schlaf singen. Drei oder vier Stunden schlief er tief und traumlos, und er fühlte sich erfrischt, als er erwachte. Er fröstelte. Es war ein heißer Spätsommertag gewesen, aber man merkte, dass der Herbst nicht mehr fern war. Tugomir konnte es in der Luft riechen und im Wasser schmecken, und die kühle Brise war ihm willkommen. Er streifte die Hosen über – das einzige Kleidungsstück, das er im Kampf tragen durfte –, band sich die Haare im Nacken mit einer Lederschnur zusammen, damit sie ihm nicht in die Quere kommen und die Sicht nehmen konnten, und dann wartete er.
Vielleicht eine Stunde verging, bis er den dumpfen Klang von Hufen im Waldgras hörte, und wenig später erschienen Widukind und Semela auf der kleinen Lichtung am Ufer des Weihers.
Sie saßen ab, banden ihre Pferde neben seinem an eine junge Eiche und traten dann zu ihm.
Im silbrigen Mondlicht sahen sie sich an. Dann wandte Semela sich ab und murmelte über die Schulter: »Ich gehe ein Stück.«
Als seine raschelnden Schritte verklungen waren, sank Tugomir auf die Knie, faltete die Hände und sagte: »In Reue und Demut bekenne ich meine Sünden.«
Widukind schlug das Kreuzzeichen über ihm, hockte sich dann vor ihn ins taufeuchte Gras und hörte ihm zu. Nicht lange nachdem Tugomirs Beichte beendet und er von seinen Sünden losgesprochen war, kehrte Semela zurück, kniete sich neben Tugomir, und eine Weile beteten sie. Aber Tugomir wusste, er durfte nicht riskieren, dass seine Glieder sich vom langen Verharren auf den Knien verkrampften, und so stand er schließlich auf und ergriff den Eschenstock, den Semela ihm mitgebracht hatte. Für einen Herzschlag musste er an den kleinen Stani denken, den Gero mit genau solch einem Eschenstock zu Tode geprügelt hatte, aber er schob den Gedanken entschlossen beiseite. Zorn, die Erinnerung an den bohrenden Schmerz seiner Hilflosigkeit – all das konnte er jetzt nicht gebrauchen. Er ließ den Stock langsam durch die Hände gleiten, um sich mit seiner Waffe vertraut zu machen, und konzentrierte sich auf das, was seine Sinne ihm sagten. So lang wie Tugomir groß war, hatte der Stock exakt das richtige Maß, und die Oberfläche fühlte sich gut an. Geschmeidig und warm. Geglättet und so dick wie der Arm eines Kindes. Tugomir schob ihn langsam durch die ausgestreckte Rechte und fand den Balancepunkt. Eine Handbreit oberhalb der Mitte. Gut so.
Er trug seine Waffe zum Ufer und tauchte sie ins Wasser. Widukind hätte gewiss die Stirn gerunzelt, aber Tugomir brauchte nicht nur Gottes Segen, um diesen Kampf bestehen zu können. Er wollte ebenso das Wohlwollen der guten Wassergeister, denn sie waren die Verbindung zu seinen Ahnen. Zu seinen Wurzeln. Was er eigentlich wollte, erkannte er, war der Segen seines Vaters. Verrate ich dich mit dem Weg, den ich eingeschlagen habe? Oder heißt du ihn gut? Bist du mit mir?
Er bekam keine Antwort, doch die Stimmen der Geister gaben ihm wiederum Ruhe und Zuversicht.
Bei Tagesanbruch lag Nebel über Wald und Wasser, und als die Sonne aufging, schien sie die wabernden weißen Schleier in blutrote Streifen zu zerschneiden. Widukind feierte die Messe, und der Wald mit seinen himmelhohen alten Bäumen und den erwachenden Vögeln erschien Tugomir ein weihevollerer Ort als jede Kirche.
Nachdem der Bischof den letzten Segen gesprochen hatte, legte er Tugomir die Hand auf die Schulter und sah ihn mit einem Lächeln an. »Wie fühlst du dich?«
Tugomir nickte. »Bereit.«
»Gut. Ich habe noch etwas für dich.« Widukind fasste sich in den Nacken und zog einen Lederriemen mit einem kleinen Silberröhrchen über den Kopf, das er unter der Kleidung getragen hatte. »Hier. Es ist meine kostbarste Reliquie, und ich will, dass du sie heute trägst.«
Tugomir nahm sie bereitwillig und streifte das Lederband über den Kopf, fragte aber: »Was ist es?«
»Ein Finger des heiligen Vitus.«
»Der Schutzheilige der Sachsen?«, fragte Semela halb amüsiert, halb skeptisch. »Bist du sicher, dass das angemessen ist?«
Widukind hob beschwichtigend die Hand. »Es stimmt, dass er der Schutzheilige der Sachsen ist, aber ebenso der der Heilkundigen. Und Fürst Wenzel von Böhmen … kanntest du ihn eigentlich?«, fragte er Tugomir.
Der nickte. »Er war
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