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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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hatte sie kastriert und ihnen Hände und Füße abgehackt. Zum Schluss waren ihnen die Köpfe abgeschlagen worden, die jetzt auf langen Stangen links und rechts des Tempeleingangs thronten. Die Köpfe waren noch frisch genug, um zu erkennen, dass sie Tonsuren getragen hatten.
    »Missionare«, murmelte Semela vor sich hin. »Ich hab doch immer gesagt, das ist ein undankbares Geschäft. Und du bist sicher , dass Fürst Ratibor Christ ist?«, fragte er Tugomir.
    »Oh, darauf kannst du wetten, Söhnchen«, spie Draschko hervor, ehe der Fürst antworten konnte. »Er ist Christ, aber klug genug, sich nicht in die Belange des Tempels einzumischen. Wenn diese beiden Mönche hier den Tempelbezirk entweiht haben, indem sie ihn unerlaubt betreten haben – und ich nehme an, das haben sie –, dann wurden sie in vorgeschriebener Weise bestraft. Mit Fürst Ratibors Billigung.«
    »Und was ist mit ihm?« Tugomir wies auf den armen Teufel mit dem blutigen Rücken.
    Draschko hob die Schultern. »Es gibt solche unter uns, die auf das Andenken ihrer Väter spucken und unsere Traditionen vergessen. Sie wollen den Göttern nicht den Rücken kehren, aber sie missachten ihre Gesetze. Kein Wunder, bei dem schlechten Beispiel, das ihr Fürst gibt. Ich vermute, der Dummkopf hat um Gnade für die Mönche gebeten.«
    »Und die Priester des Radegost haben dafür gesorgt, dass er es nicht wieder tut«, bemerkte Tugomir.
    »Ganz genau«, gab Draschko herausfordernd zurück. Semela sah sich gründlich um. Der Tempelbezirk war verlassen, weit und breit kein Priester zu sehen. »Sollen wir nachsehen, ob wir noch irgendwas für ihn tun können?«
    »Nur zu«, lud Draschko ihn ein.
    »Kommt nicht infrage.« Tugomir ritt wieder an. »Wir würden vermutlich so enden wie er. Wir kennen die Sitten hier nicht und sollten nicht riskieren, die hiesige Priesterschaft zu beleidigen. Vielleicht sind sie nicht alle so milde und gütig wie Draschko.«
    Der lachte in sich hinein.
    »Du hast recht«, antwortete Semela unbehaglich, warf noch einen letzten Blick auf die grausige Szene und folgte ihm dann weiter Richtung Burg.
    Sie hatten nur drei Tage für die gut hundert Meilen gebraucht, weil sie den Großteil der Strecke zu Wasser zurückgelegt hatten. Auf Flößen und Kähnen waren sie mitsamt Pferden und Proviant über Seen und Flüsse gereist, die Tugomir längst nicht alle mit Namen kannte. Er hatte sich Draschkos Führung anvertraut, aber dafür gesorgt, dass seine Eskorte stärker war als die des obodritischen Priesters und nachts Wache hielt.
    Er war zum ersten Mal nördlich der Elde, und er war ein wenig enttäuscht, dass diese Gegend sich kaum von seiner Heimat unterschied: ein großteils bewaldetes Flachland, Flüsse, Seen und Sümpfe, ein verschwenderischer Wildreichtum und kaum Menschen. Einen ganzen Tag waren sie gereist, ohne auch nur auf eine einzige Siedlung zu stoßen. Man müsse sich fragen, wie die slawischen Völker sich überhaupt gegenseitig ausfindig machten, um sich zu überfallen, so verstreut, wie sie über das weite Land seien, hatte Semela angemerkt, und Tugomir hatte ihm recht gegeben.
    Doch als sie sich der Mecklenburg näherten, änderte sich die Qualität des Lichts, und die Luft roch anders. Tugomir fühlte die Nähe von Wassergeistern, die ihm vollkommen fremd waren, und er wusste, die See war nicht mehr fern. Ganz gleich, was ihn hier erwartete und wie diese Sache ausging, er schwor sich, dass er nicht umkehren und auch die Welt nicht verlassen würde, ehe er das Meer gesehen hatte.
    Fürst Ratibor empfing sie in seiner Halle, wo trotz des milden Wetters die Läden geschlossen waren, sodass das Innere in Dämmerung lag. Aber Tugomir erkannte sorgfältig gegerbte Felle und kunstvoll gemusterte Behänge an den Wänden und einen ausladenden, prunkvollen Fürstenthron. Der Sandbelag am Boden war üppig und frisch geharkt, und das Feuer hinter der Tafel verströmte betörende Düfte, als hätte gerade eben jemand eine Handvoll Kräuter hineingestreut.
    »Sehr vornehm«, raunte Semela.
    Tugomir nickte.
    Fürst Ratibor hatte die Ankömmlinge noch nicht bemerkt. Oder zumindest gab er das vor. Er war dabei, seine neue Kriegsbeute zu begutachten – ein knappes Dutzend sächsischer Bauernmädchen, alle jung und die meisten hübsch. Zusammengedrängt standen sie vor ihm, so verängstigt, dass Tugomir an die Frauen der Daleminzer denken musste, obwohl er nicht wollte. Er wusste, bei den Obodriten war es üblich, die Jungfrauen unter den

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