Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
neu eingefangenen Sklaven dem Fürsten zu bringen, damit er die erste Wahl hatte und sich die schönsten aussuchen konnte, ehe seine Krieger den Rest unter sich aufteilten.
»Diese hier.« Ratibor zeigte mit dem Finger auf ein vielleicht vierzehnjähriges Mädchen mit langen, weizenblonden Zöpfen. Sie senkte den Kopf und fing an zu schluchzen.
»Steckt sie in einen Zuber und lasst sie einweichen; ich schätze, wenn der Dreck abgeschrubbt ist, kommt etwas Brauchbares darunter zum Vorschein. Macht sie hübsch und schickt sie mir heute Abend zurück. Und bringt ihr bei, nicht zu heulen, wenn ich ihr die Ehre erweise, sie in mein Bett zu nehmen. Die Dunkle mit den großen Titten da vorn will ich auch noch. Sonst keine.«
Wie eine Schar Gänse trieben seine Diener die Mädchen vor sich her aus der Halle, und Draschko ergriff die Gelegenheit, um vorzutreten. »Mein Fürst.«
»Ah«, machte Ratibor, und es klang nicht besonders entzückt. Er ließ sich auf seinen Fürstensitz sinken: ein Mann in Tugomirs Alter mit kantigen Zügen, blondem Kopf- und Barthaar, breiten Schultern und kräftigen Händen. »Willkommen daheim, Onkel.«
»Hab Dank.« Der Priester hob die Hand zum Göttergruß. »Ich bringe dir Tugomir, Vaclavics Sohn, Fürst der Heveller.«
Tugomir trat neben ihn und nickte dem Fürsten der Obodriten knapp zu. »Ratibor.«
Der ließ den linken Arm lässig über die Rückenlehne seines Throns baumeln, während er seinen Besucher mit einem rätselhaften Lächeln betrachtete. »Sieh an, sieh an. Fürst Tugomir vom Volk der Heveller. Sohn des ruhmreichen Vaclavic, der meinen Bruder bei lebendigem Leib verbrennen ließ.« Das Lächeln wurde breiter. »Es ist mir eine Ehre, dich kennenzulernen.«
Tugomir hatte natürlich gewusst, dass er hier dem schlimmsten Albtraum seiner Kindheit wiederbegegnen würde: der Hinrichtung seiner Mutter und ihres jungen obodritischen Liebhabers. Er hatte nur nicht damit gerechnet, dass es so schnell passieren würde. Er verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte die unverhohlene Musterung, nicht aber die leere Floskel.
Sein Schweigen brachte Ratibor nicht aus der Ruhe. »Met für meinen Gast«, befahl er einem Sklaven, der diskret im Schatten hinter dem Feuer stand. »Und für mich auch, wenn du einmal dabei bist. Lass dem Fürsten ein angemessenes Lager in der Halle herrichten und sorg dafür, dass seine Eskorte untergebracht wird.« Er hielt kurz inne und wandte sich wieder an Tugomir. »Willst du vielleicht eine von diesen sächsischen Jungfrauen?«
»Nein, vielen Dank.«
Ratibor schickte den Sklaven mit einem Wink seines Weges. »Dann wäre das alles für den Moment. Nimm Platz, Fürst Tugomir. Können wir noch irgendetwas für dich tun, Draschko? Nein? Dann hab Dank für deine treuen Botendienste. Ich bin überzeugt, es zieht dich in den Tempel deines Gottes, dem du wochenlang fernbleiben musstest. Fürst Tugomir wird mir gewiss berichten, was dich so lange aufgehalten hat.«
Draschko stieg ob dieses rüden Rauswurfs die Zornesröte ins Gesicht, aber er gehorchte. Mit einer knappen Verbeugung vor seinem Fürsten wandte er sich ab – ohne Tugomir auch nur eines Blickes zu würdigen.
Ratibor wies auf die Bänke links und rechts von sich. »Priester oder Krieger? Was bist du?«
Tugomir setzte sich auf die Kriegerbank und beantwortete damit die Frage. »Die Götter meiner Väter sind mir fremd geworden«, bekannte er. »Ich versehe keine Tempeldienste mehr.«
Ratibor nahm sich einen Apfel aus der Tonschale auf dem Tisch, fing an zu essen und schob die Schale einladend in Tugomirs Richtung. »Du bist Christ?«, fragte er kauend.
Tugomir griff zu und nickte.
»Wie bemerkenswert. Mein alter Herr hat immer gesagt, die Fürsten der Heveller seien die Lieblinge der alten Götter und spuckten auf uns, weil wir Christen sind. Was haben die verfluchten Sachsen mit dir gemacht, he? Deine Füße ins Feuer gehalten, bis du dich taufen ließest?«
Tugomir rieb den Apfel – ein perfektes rotes Exemplar – an seinem linken Ärmel, bis er ganz blank wurde. Während er sein Werk bewunderte, erwiderte er: »Womöglich hat dein Vater über uns genauso viel Unsinn gesagt wie der meine über die Obodriten. Meine Familie war den Göttern nie besonders nahe. Ein jüngerer Sohn aus jeder Generation wurde Priester, aber eher aus Tradition denn aus Frömmigkeit. So wie es bei euch offenbar auch üblich ist, wenn du Draschko deinen Onkel nennst.«
»Er ist der Bruder meiner
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