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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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treuen Dienste …«
    Wieder schüttelte der Prinz wild den Kopf. Auch das konnte er nicht. Nicht Wiprecht, den letzten seiner Freunde.
    Der stieß ein kurzes Lachen aus; ein schauriger, zischender Laut. »Was für ein Feigling du bist. Das warst du … immer schon. Ein verschlagener, mieser kleiner Feigling, an den ich mein Leben … verschwendet habe. Fahr zur Hölle, Henning Hasenfuß …«
    Henning schrie auf vor Schmerz und Zorn, sprang auf die Füße und stieß ihm das Schwert in die Kehle.
    Den Rest des Tages und die ganze, endlose Nacht lang wandelte Henning in Finsternis. In seinem ganzen Leben hatte er sich noch nie so elend gefühlt, so allein. Ein Teil von ihm wusste, dass Wiprecht diese Dinge nur zu ihm gesagt hatte, um ihn zu zwingen, zu tun, was er getan hatte. Aber ein Teil von ihm zweifelte auch. Hatte Wiprecht – der Mann, der ihm immer die Wahrheit gesagt hatte, so unbequem sie auch war – mit seinem letzten Atemzug vielleicht doch seine wahren Gefühle offenbart? Und was war mit Hildger und Volkmar? Hatten sie das Gleiche gedacht?
    Und Judith?
    Sobald es hell wurde, fing es auch wieder an zu regnen. Henning war so niedergedrückt und erschöpft, dass er kaum wusste, wie er auch nur einen einzigen der eisigen Tropfen noch erdulden sollte. Er beugte sich vor und schmiegte Brust und Gesicht an den muskulösen Hals seines Pferdes. Die Wärme des Tieres, vor allem seine stoische Gelassenheit gaben ihm Trost. Nur ein derber Gaul, gewiss, stark und dumm wie ein Ochse und nicht einen Funken Temperament. Aber sein letzter Freund.
    Henning begann zu schluchzen. Er beweinte seine Einsamkeit und Verlorenheit, und so von Tränen verschleiert war sein Blick, dass er um ein Haar an der Burg vorbeigeritten wäre.
    Als er die Palisade aus dem Augenwinkel sah, richtete er sich auf und fuhr sich hastig mit dem Ärmel über die Nase. Chèvremont! Das wurde aber auch wirklich höchste Zeit!
    Unendlich erleichtert ritt er durch das unbewachte Tor in den Innenhof der großen Anlage. Alles wirkte seltsam still und verlassen. Nicht so, als seien alle vor dem Regen in die Halle geflüchtet, sondern eher so, als sei dieser Ort hier vor Monaten aufgegeben worden. Hennings Mut sank. War das möglich? Hatte Giselberts Hof sich zerstreut? Waren alle, die nicht mit dem Herzog in den Krieg gezogen waren, einfach verschwunden, um Ottos Rache zu entgehen?
    Obwohl er das Gefühl hatte, dass es sinnlos war, ritt er zum Hauptgebäude am Westrand der Anlage, und als er an der hölzernen Fassade hochschaute, glaubte er, einen Schatten an einem der oberen Fenster vorbeihuschen zu sehen.
    Henning glitt mit steifen Knochen aus dem Sattel, erklomm das runde Dutzend Stufen zum Tor und drückte gegen den rechten Flügel. Das Tor rührte sich nicht. Henning versuchte die linke Hälfte. Ebenfalls versperrt. Er klopfte mit der Faust und hörte gedämpft das leere, hallende Geräusch, das sein Klopfen im Innern der Halle verursachte.
    »Gerberga!« Er schaute nach oben zum Fenster. »Gerberga, lass mich rein!«
    Er wartete ein paar Herzschläge lang. Nichts.
    Mit beiden Fäusten trommelte er ans Tor, und Schmerz schoss wie klitzekleine Pfeile durch das Innere seines rechten Arms. »Gerberga! Ich weiß, dass du hier bist! Ich bin es, dein Bruder! Du musst mich einlassen!«
    Das Schweigen hielt an.
    Henning zog das Schwert und hämmerte mit dem Knauf ans Tor, als sei es ein Rammbock. »Gerberga!« Er heulte schon wieder, und er schämte sich nicht einmal dafür. Seine Verzweiflung war größer als jedes Schamgefühl. »Gerberga … bitte … Du bist doch meine Schwester … Bitte …« Er schluchzte, das Schwert glitt ihm aus der Hand, und er fiel auf die Knie. »Gerberga …«
    »Hier bin ich, Bruder«, kam es plötzlich von oben.
    Sein Kopf ruckte hoch.
    Sie stand am Fenster, eine Hand um den Rahmen gelegt, und lehnte sich gerade so weit hinaus, wie nötig war, um den Bettler vor ihrer Tür zu sehen. Ihre Haltung war gelassen und würdevoll, ihr Blick unmöglich zu deuten. Eher geruhsam und gleichgültig als verzweifelt und halbtot vor Angst, wie sie eigentlich hätte sein müssen.
    »Was willst du hier, Henning?«, fragte sie.
    »Ein Bett und ein Feuer und etwas zu essen! Schutz vor den Elementen und den Verfolgern, die mir vermutlich immer noch auf den Fersen sind! Eine … eine Verschnaufpause von diesem Albtraum. Es ist alles verloren, Schwester. Giselbert ist tot.«
    »Ich weiß«, gab sie ungerührt zurück. »Auf der Flucht

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