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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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deutlich sichtbar, und Egvinas kleine Tochter, die dreijährige Hatheburg, kniete zu Füßen ihrer Mutter auf einer Felldecke und riss ihrer Puppe die Strohhaare aus.
    Was für ein schönes, friedvolles Bild, fuhr es Dragomira durch den Kopf. Es sprach von Fruchtbarkeit und Fortbestand, nicht von Krieg und Tod, die sonst immer so allgegenwärtig schienen. Lag es daran, dass sie sich in einem Gotteshaus befanden? Oder vielleicht doch eher daran, dass gerade kein Mann in der Nähe war?
    Sie schüttelte den Kopf über ihre müßigen Gedanken, sah kurz auf ihren eigenen Bauch hinab, der sich gerade erst zu wölben begann, und nahm ihre Arbeit wieder auf.
    Sie hatten die Kirche auf der Nordseite der Halle gebaut – wo niemand sie sehen musste, der den Anblick beleidigend, abstoßend oder bedrohlich fand. Ungeachtet des diskreten Standorts war es ein hübsches, nicht einmal so kleines Gotteshaus geworden, natürlich nur aus Holz, aber sorgfältig gezimmert. Zu Allerheiligen hatte Widukind es geweiht, und sobald der Kalk auf den Innenwänden getrocknet war, hatte Dragomira mit der Arbeit begonnen. Es war ein gewaltiges Projekt. Bislang hatte sie nur Buchillustrationen gefertigt, die natürlich klein sein mussten und nur eine einzelne Szene aus der Bibel oder dem Leben der Apostel oder Heiligen darstellten. Hier hingegen sollte sich die gesamte Heilsgeschichte über die vier Wände erstrecken: von Adam und Eva am Kirchenportal in der Westwand, über das Alte und Neue Testament an der Süd- und Nordwand, bis hin zum Weltengericht an der Giebelwand hinter dem Altar.
    Dragomira hatte sich mit Widukind und Alveradis beraten, denn ihr Liebster kannte das Kloster zu Corvey, dessen Abt gern behauptete, die Wandmalereien in seiner Kirche seien die schönsten im ganzen Reich. Und Alveradis war in Merseburg aufgewachsen, das gleichermaßen für die Wandbilder in der Halle der Pfalz berühmt war. Mit ihren beiden Beratern hatte Dragomira die Kirchenwände in Abschnitte unterteilt und erste Skizzen angefertigt, und als sie keinen guten Grund mehr fand, es länger aufzuschieben, hatte sie zu malen begonnen. Wegen des bevorstehenden Christfestes hatte sie das Alte Testament indes bei König Salomon unterbrochen und auf der gegenüberliegenden Wand mit der Krippe in Bethlehem angefangen, und das war der eigentliche Grund, weshalb sie wieder und wieder zu Jarmila hinübersah, genauer gesagt zu deren zwei Wochen altem Sohn. Dragomira hatte den Ehrgeiz, die Winzigkeit eines neuen Menschenkindes auf die Kirchenwand zu bannen.
    »Und was ist mit Mädchen?«, fragte Alveradis.
    Jarmila schüttelte den Kopf. »Sie bekommen ihre Namen früher. Die bösen Geister haben kein Interesse an Mädchen, sie sind zu unwichtig.«
    Alveradis nickte. »Verstehe.«
    »Na bitte. Es gibt doch etwas, das Slawen und Sachsen gemeinsam haben …«, spöttelte Egvina. Sie sagte es auf Deutsch, aber sie verstand offenbar schon mehr Slawisch, als Dragomira geahnt hatte.
    Diese mischte frische Ochsengalle mit zermahlener Kreide, um die gelbe Farbe zu bekommen, die sie für das Stroh in Krippe und Stall benötigte. »Wenn du einen Ort gesucht hast, wo du Wertschätzung erfährst, obwohl du eine Frau bist, wärst du besser in ein Stift eingetreten, als hierherzukommen«, sagte sie.
    »Da hast du recht«, räumte Egvina ein. »Aber ich kenne mich. Diese dauerhafte Leere zwischen den Schenkeln ist nichts für mich.«
    Dragomira und Alveradis lachten, und Jarmila stimmte mit ein, obwohl sie natürlich nicht wusste, worüber sie lachte. Es machte nichts. Jarmila lachte gern und oft, seit die Geburt überstanden war, vor der sie sich so gefürchtet hatte.
    Kurz nach Dragomirs Tod hatte Tugomir sie aufgesucht und ihr angeboten, sie zurück nach Hause zu bringen. Doch Jarmilas Furcht vor ihrem Vater war offenbar größer gewesen als die vor einem Witwendasein unter Fremden, und so war sie auf der Brandenburg geblieben. Die ersten Tage hatte sie in ihrer Kammer gehockt und geweint. Ausgerechnet Alveradis war es gewesen, die sich ihrer angenommen und ihr Vertrauen gewonnen hatte, und inzwischen sah man die eine kaum je ohne die andere. Sie waren gleich alt. Sie waren beide fremd hier – Dragomira nahm an, sie hatten viel gemeinsam. Mit großer Aufmerksamkeit hatte Alveradis den Verlauf von Jarmilas Schwangerschaft verfolgt, hatte sich von deren Furcht jedoch nicht anstecken lassen. Sie schien zu den glücklichen Frauen zu zählen, denen eine Schwangerschaft kaum Ungemach

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