Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
schnäbelten und waren offenbar zu beschränkt, um zu bemerken, dass Udos Männer ihr Treiben mit hungrigen und zunehmend finsteren Blicken verfolgten.
Dragomira wandte alldem den Rücken zu und versuchte, sich an der hinreißenden Schönheit der Landschaft, an den Flussauen, den Obstwiesen, Wäldern und Feldern voll reifen Korns zu erfreuen, aber das glimmende Stück Holzkohle in ihrem Bauch war wieder da.
Als es dämmerte, machte der Kahn für die Nacht am Ufer fest, und die junge Frau brachte ihr eine Schale Suppe, ein Stück Brot und einen Becher Bier. Aber Dragomira brachte keinen Bissen herunter. Udos vier Rabauken hingegen griffen munter zu und ließen sich wieder und wieder die Krüge füllen. Bier schien reichlich vorhanden zu sein, und das junge Schifferpaar schenkte es bereitwillig aus, denn Udo hatte sie gut bezahlt. Die Stimmen wurden lauter, das Gelächter dröhnender.
Dragomira nahm Mirnias Hand. »Komm, wir wollen uns schlafen legen«, sagte sie leise. Sie führte das Mädchen weg vom dämmrigen Schein des Binsenlichts, um das die Zecher herumsaßen, und hinter den Hügel aus Wollvliesen. Sie verspürte Erleichterung, als sie den Blicken der Männer entzogen waren.
Trotz der lauten Stimmen schlief sie sofort ein. Vermutlich hatte ihre Erschöpfung sich endlich zu ihrem Recht verholfen, oder womöglich lag es auch am sachten Schaukeln des vertäuten Kahns. Sie träumte von einem Festmahl in der Halle der Brandenburg. Ihr Vater saß mit Bolilut, Tugomir, den Priestern und seinen Kriegern an der Tafel und lachte und schmauste. Es war ein schönes Fest: Dicke Scheite loderten in der mit Steinen ausgelegten Feuerstelle, und die Flammen ließen einzelne Körner im frischen Sand am Boden wie Edelsteine funkeln. Herrlich verzierte Tonbecher und -krüge schmückten die Tische, ein am Spieß gebratener Ochse wurde hereingetragen. Die Frauen, die an einem eigenen Tisch saßen, trugen ihre schönsten Kleider und Schläfenringe. Doch dann schwang die Stimmung an der Tafel des Fürsten um. Ihre Brüder gerieten in Streit, sprangen auf, und plötzlich hatte Bolilut ein Messer in der Hand. Dragomira wollte Tugomir warnen, als eine große Hand sich auf ihren Mund legte und Udo ihr ins Ohr zischte. »Kein Laut, Mädchen.«
Dragomira schreckte hoch und erstarrte sogleich wieder. Im Mondlicht erkannte sie Waldo und Lothar, zwei ihrer Wachen, die sich über Mirnia beugten, die keine drei Schritte entfernt von ihr auf ihrer Decke lag und schlief. Die Männer verständigten sich mit einem Nicken. Dann packte Waldo sie an den Armen, Lothar nahm ihre Füße. Mirnia fuhr mit einem halb erstickten Schrei aus dem Schlaf, und als die Männer sie wegtrugen, wimmerte sie.
Dragomira umfasste Udos Handgelenk und befreite ihren Mund. »Bitte, Udo …«, flehte sie.
»Ich kann nichts machen«, erwiderte er gedämpft. »Dein und mein Leben retten, wenn wir Glück haben, das ist alles.«
Erst jetzt sah Dragomira, dass er die blanke Klinge in der Linken hielt.
Stoff riss, und Mirnia fing an zu schreien. Dragomira brach der Schweiß aus allen Poren, und sie versuchte, sich von Udos Klammergriff zu befreien, um irgendetwas zu tun, aber der Soldat ließ sie nicht los.
»Verhalt dich still, hab ich gesagt, oder du bist die Nächste«, knurrte er. »Begreifst du denn nicht, was hier los ist?«
Dragomira kniff die Augen zu. Ein Rauschen war in ihren Ohren, und sie spürte ihren eigenen Herzschlag in den Schläfen, rasend und stolpernd. »Sie sollen aufhören«, flüsterte sie. »Sie ist noch ein Kind, Udo. Mach, dass sie aufhören …«
»Sie hören nicht auf«, unterbrach er sie rau. »Jetzt hält sie nichts mehr. Dieser verfluchte Tölpel von Schiffer ist schuld. Erst hat er sie abgefüllt und dann vor ihren Augen seinem Weib die Hand unter den Rock geschoben und sie befummelt. Wie kann man so dämlich sein? Jetzt liegt er zur Belohnung tot in seinem eigenen Blut, während Burchard und Cobbo es gleich daneben seiner Witwe besorgen.« Er spuckte aus, lehnte sich mit dem Rücken an die Bordwand und legte sein Schwert quer über seine ausgestreckten Beine. »Na ja. So muss deine kleine Freundin es wenigstens nicht mit allen vier Kerlen aufnehmen.«
Mirnia weinte bitterlich und flehte ihre Peiniger an, aber vergeblich. In ihrer Verstörtheit stammelte sie slawische Worte, doch selbst wenn sie deutsch gesprochen hätte, es hätte ihr nichts genützt, wusste Dragomira. Udo hatte recht. In jedem Mann schlummerte eine Bestie, und wehe
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