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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Es wirkt Wunder, siehst du?«
    Tugomir wies auf seine nackte Brust. Die Wunden waren immer noch ein schauderhafter Anblick – rot und glänzend –, aber sie heilten bereits ab und hatten sich nicht entzündet.
    »Also los. Worauf wartest du?«, drängte Semela.
    »Gleich«, wehrte er ab. Das Aufbringen des Holunderbreis war eine schmerzhafte Prozedur, darum war er dabei lieber allein. Es wäre einfacher und auch wirksamer gewesen, wenn er eine Salbe aus den Blättern hätte herstellen können, aber dazu fehlten ihm die Zutaten. Er war schon dankbar für den Mörser, den Semela in der Küche hatte mitgehen lassen. »Was gibt es für Neuigkeiten?«
    Der Junge zuckte die Achseln. »Keine. Nicht ein Sterbenswort. Ich werd noch verrückt, wenn wir nicht bald etwas erfahren.«
    Tugomir gab keinen Kommentar ab. Auf König Heinrichs Befehl hatten die Markgrafen Bernhard und Thietmar das sächsische Reiterheer nach Norden geführt, um den »Aufstand« der Slawen, wie sie es nannten, niederzuschlagen. Das Heer hatte die Elbe überquert, um die slawische Burg Lenzen am Ostufer zu belagern, wussten sie, aber seither hatten sie nichts mehr gehört.
    »Wie kannst du so ruhig sein?«, fragte Semela. »König Heinrich hetzt seine Schlächter auf deinen Vater, und man könnte meinen, es ist dir völlig gleich!«
    »Es ist mir nicht gleich«, widersprach Tugomir. Im Gegenteil. Seit einer Woche hungerte er, weil er, seit er wieder laufen konnte, sein kärgliches Abendmahl heimlich in die Elbe warf, um den Flussgeistern zu opfern, auf dass sie das so nahe der Elbe gelegene Lenzen beschützten. Und das Heer der Redarier, Heveller und aller anderen Stämme, die sich ihnen angeschlossen hatten. »Aber wir können nichts anderes tun, als abzuwarten. Und ganz gleich, was geschieht, Semela, ich warte nur auf schlechte Neuigkeiten. Man ist gut beraten, das mit Gleichmut zu tun, wenn man kann. Das musst du noch lernen, scheint mir.«
    »Was heißt, du wartest nur auf schlechte Neuigkeiten? Warum? Unsere Krieger sind viel tapferer als ihre.«
    »Das ist wahr. Aber König Heinrichs Reiterheer ist groß. Gut möglich, dass es sich als zu groß erweist und die unseren besiegt. Das hieße, dass mein Vater vermutlich fallen würde. Dann ist kein erwachsener Mann aus meinem Geschlecht mehr übrig, um die Heveller zu führen, nur noch mein Neffe, und er ist noch zu jung. Mein Volk würde untergehen, fürchte ich. Wenn sich aber wirklich ausnahmsweise einmal all unsere nördlichen Stämme zusammengeschlossen haben, statt sich gegenseitig zu bekriegen, ist unser Heer vielleicht stark genug, um den Sachsen zu trotzen. Das ist mein sehnlichster Wunsch. Aber wenn es geschieht, werde ich sterben. Wenn unsere Krieger die Sachsen zurück über die Elbe jagen, wird König Heinrich meinem Vater meinen Kopf schicken. Also ganz gleich, wie die Sache ausgeht, ich werde der Verlierer sein.«
    Semela starrte ihn an, die großen Kinderaugen voller Furcht. Was wird dann aus mir? , fragte dieser Blick.
    Aber Tugomir wusste es nicht.
    »Hast du keine Angst?«, fragte der Junge.
    Tugomir hob langsam die Schultern. Doch, er hatte Angst. Um seine Schwester vor allem. Oder davor, dass König Heinrich aus seiner Hinrichtung irgendein grausiges Spektakel machen würde. Oder dass er es Gero überlassen würde, die slawische Geisel zu töten und für die Heimreise möglichst schauderhaft herzurichten. Aber nicht vor dem Tod selbst. Es gibt Schlimmeres als den Tod , hatte Schedrag ihn gelehrt. Mag sein, dass er eines Tages als Freund zu dir kommt und dir willkommen ist . Damals hatte Tugomir nicht so recht gewusst, was der Hohepriester meinte. Heute verstand er es nur zu gut. Offenbar war er wenigstens ein bisschen weiser geworden …
    »Ein Priester fürchtet sich niemals, Semela«, spöttelte er. »Das darf er nicht. Genau wie ein Fürst. Denn wenn Priester oder Fürst sich fürchten, wird ihr Volk es auch tun. Und dann wird es schwach.« Er nahm dem Jungen den Mörser aus der Hand. »Jetzt sei so gut und verschwinde. Geh in die Küche und kümmere dich um deine Arbeit, ehe Ekkard dich wieder beim Müßiggang erwischt, wie wär’s?«
    Semela schnitt eine freche Grimasse und wollte protestieren, als ein Schatten über die Schwelle fiel.
    Tugomir sah auf. »Bruder Waldered.«
    Der Mönch beugte sich ein wenig vor, um durch die niedrige Türöffnung zu passen, und auf Tugomirs einladende Geste kam er die drei Holzstufen hinab. Er verharrte einen Moment, bis seine Augen sich

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