Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Schlaf. Noch etwas, das du gelegentlich lernen solltest: Du musst nicht jeder Frau, die dir gefällt, gleich dein Herz zu Füßen legen.«
Otto verdrehte die Augen. »Das tue ich überhaupt nicht«, protestierte er.
»Ach, komm schon.« Thankmar nahm einen Schluck Apfelwein. »Erst Tugomirs Schwester … wie hieß sie gleich wieder?«
»Dragomira.«
»Und kaum hattest du sie geschwängert, kommt Prinzessin Editha daher, und du verfällst ihr auf den ersten Blick. Das nenne ich nicht gerade ›deine prinzliche Stellung wahren‹.«
Otto zuckte ungehalten die Achseln. Er hatte Dragomira gemocht, keine Frage. Sie war eine … wonnige Bettgenossin gewesen, und obwohl sie als Jungfrau zu ihm gekommen war, hatte sie ihn viele Dinge gelehrt, die er vorher nicht gewusst hatte. Dafür war er ihr dankbar, denn das hatte ihm Selbstvertrauen gegeben – etwas, woran es ihm oft mangelte. Er bedauerte vage, dass er es nicht mehr geschafft hatte, sich zu verabschieden, ehe Dragomira ins Kloster gebracht wurde, und er dachte gern an sie zurück. Aber die Sache mit Editha war etwas völlig anderes. Thankmar hatte gewiss recht, dass es albern war, sich auf den ersten Blick so rettungslos zu verlieben, doch je besser Otto seine Braut kennenlernte, desto überzeugter war er, dass Gott dieses Wunder gewirkt hatte, um ihm den rechten Weg zu weisen. Nie hätte er sich träumen lassen, dass eine Frau so sein konnte wie Editha, so anmutig und schön und doch gleichzeitig klug und … kühn. Sie dachte wie ein Mann, hatte er zu seinem größten Erstaunen festgestellt. Man hatte ihn gelehrt, dass der Verstand einer Frau dem eines Mannes unterlegen sei, aber Editha bewies das Gegenteil. Mit ihr an seiner Seite fühlte er sich stärker als ohne sie. Und er wusste, wenn es wirklich so kam, dass er den Thron seines Vaters erbte, dann würde Editha ihm eine unschätzbare Hilfe bei seiner schwierigen Aufgabe sein.
»Können wir uns darauf einigen, dass ich für heute genug deiner brüderlichen Belehrungen genossen habe?«, fragte er ein wenig verdrossen.
Thankmar enthüllte zwei Reihen bemerkenswert weißer Zähne, als er lächelte. »Abgemacht.«
»Otto! Thankmar!« Plötzlich stand Henning vor ihnen, ein wenig außer Atem, das Haar zerzaust. »Da drüben hacken sie einem Dieb die Hand ab! Kommt, beeilt euch!«
»Nein, wärmsten Dank«, bekundete Otto.
Thankmar packte Hennings Handgelenk und hielt dem Jungen die nicht ganz saubere eigene Rechte vor die Nase. »Schau sie dir noch mal gut an, und denk an den armen Langfinger von Quedlinburg, wenn du Hadwig das nächste Mal ihren Mandelkuchen klaust …«
Henning riss sich los. »Hab ich gar nicht!«, empörte er sich.
Thankmar verzog den Mund. »Nicht nur ein Dieb, sondern obendrein ein Lügner. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, Brüderchen …«
»Komm schon, lass ihn zufrieden«, ging Otto dazwischen. »Wie wäre es, wenn wir …« Er brach ab, als oben auf dem Hügel die Glocke der Pfalzkirche zum Angelus zu läuten begann. »Herrje, schon Mittag.«
»Wir sollten zurück sein, ehe Giselbert von Lothringen eintrifft«, riet Thankmar. »Der König will uns an seiner Seite haben, wenn er ihn empfängt, hat er gesagt.«
»Ach, das ist so langweilig«, nörgelte Henning. »All die Adligen zu begrüßen und immer wieder das Gleiche zu sagen. ›Seid willkommen auf dem Hoftag meines Vaters, edler Graf oder Bischof oder was auch immer‹«, säuselte er. »Wie oft muss ich das noch sagen?«
»Bis alle angekommen sind«, antwortete Otto. »Wir sind nicht zum Spaß hier, Bruder. Jedenfalls nicht nur. Außerdem bringt Giselbert ganz bestimmt Gerberga mit. Du freust dich doch, sie wiederzusehen, oder?« Für ihn selbst gehörte das erhoffte Wiedersehen mit seiner Schwester jedenfalls zu den Höhepunkten dieses Hoftags. Er brannte darauf zu hören, wie es ihr in dem Jahr seit ihrer Heirat ergangen war. Und er war neugierig, ob sie schon guter Hoffnung war.
»Na gut, meinetwegen«, willigte Henning missmutig ein.
Thankmar knuffte ihn unsanft zwischen die Schultern. »Gehen wir. Wir haben gerade noch Zeit, für Ottos Braut ein paar bunte Haarbänder oder ähnlichen Tand zu kaufen.«
Otto zog scharf die Luft durch die Zähne ein. »Sei gepriesen, Thankmar. Nur gut, dass du daran gedacht hast.«
»Da siehst du mal wieder, wie selbstlos ich bin«, murmelte der Ältere vor sich hin. »Viel besser als mein Ruf …«
Sie hielten am Stand eines jungen Händlerpaares, wo es Bänder aus
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