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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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zu werden, wurde ihm speiübel.
    In dem fensterlosen Kämmerchen war es fast unmöglich, das Verrinnen der Zeit zu messen, aber es konnte nicht viel mehr als eine Stunde vergangen sein, als die Tür sich öffnete und eine vierschrötige Gestalt über die Schwelle trat.
    Tugomir erkannte ihn auch im Halbdunkel. Er stand ohne erkennbare Hast von dem Schemel auf, der bis auf eine verschlossene Truhe das einzige Möbelstück dieser Sakristei war. »Udo.«
    »Prinz.« Seit Tugomir seinem Söhnchen das Leben gerettet hatte, erwies Udo ihm immer ein gewisses Maß an Höflichkeit, wenn auch meist mit verdrossener Miene, so als bereite es ihm Bauchgrimmen, höflich zu einem Slawen zu sein. »Komm mit mir.«
    »Wohin?«
    »Ich soll dich in die Halle führen, hat der König gesagt.«
    »Und? Hast du meine Ketten etwa in der Wachkammer vergessen?«
    Udo schüttelte den Kopf. »Keine Ketten. Keine Fesseln, gar nichts. Im Gegenteil. Du kriegst einen Ehrenplatz bei den Prinzen und wirst behandelt wie jeder andere Gast.«
    Tugomir hatte keine Mühe, das zu durchschauen. »Damit eure Fürsten denken, ihr hättet mich auf eure Seite gebracht und handzahm gemacht, ja?«, fragte er schneidend.
    Udo brummte unwillig. »Dir kann man es aber wirklich niemals recht machen, Prinz Tugomir. Ich weiß nicht, was der König sich dabei denkt, dich wie einen Gast zu ehren, und mir ist es ehrlich gesagt scheißegal, ob sie dich in Brokat hüllen oder mit den Kötern vom Boden fressen lassen. Ich weiß nur eins: Ich hab Befehl, dich bis zum Ende dieses Hoftags für keinen Lidschlag aus den Augen zu lassen, damit du uns nicht davonläufst. Solltest du es trotzdem versuchen, verlierst du einen Fuß, wenn wir dich erwischen, wenn nicht, verlieren ein Dutzend Daleminzer das Leben, der Bengel hier als Erster. Du solltest mir lieber glauben. Wenn du abhaust, werde ich in solchen Schwierigkeiten stecken, dass ich sie mit Vergnügen selber einen nach dem anderen abschlachten werde, und zwar langsam. Klar?«
    Tugomir hatte solche Drohungen inzwischen schon oft gehört, aber sie verfehlten ihre Wirkung nie. Er trat wortlos vor Udo hinaus ins Freie.
    Auf dem Weg zur Halle hinüber sah er kurz an sich hinab. Er trug die Kleider, die seine kleine Wäscherin in Magdeburg und ihre beiden Schwestern ihm aus Dankbarkeit für die Genesung ihres alten Vaters genäht hatten: Hosen und das knielange Obergewand aus festem dunkelbraunen Wolltuch, schlicht, aber ordentlich, und dazu seinen Gürtel und die Schuhe mit den bis unters Knie gekreuzten Bändern, die er schon im letzten Winter beim Abmarsch aus der Brandenburg getragen hatte. Keine Waffen und kein Schmuck. Wie ein Prinz sah er nicht gerade aus, aber auch nicht wie ein Gefangener.
    Während sie den Innenhof überquerten, ritt ein offenbar vornehmer Edelmann durchs Tor, gefolgt von zwei Damen und einer acht Mann starken Eskorte. Sie hatten noch nicht angehalten, als plötzlich aus allen Richtungen Kinder und Greise herbeieilten, manche lahm oder blind, und den Ankömmlingen flehend die Hände entgegenstreckten.
    »Was sind das für Menschen?«, fragte Tugomir. Eigentlich richtete er nie das Wort an Udo, wenn er es vermeiden konnte, aber der Anblick dieser erbarmungswürdigen Schar hatte ihn erschreckt.
    »Bettler«, antwortete der Soldat, und sein Tonfall drückte Verachtung aus.
    »Bettler? Was bedeutet das? Ich kenne dieses Wort nicht.«
    »Dann guck sie dir doch an. Arbeitscheues Gesindel oder arme Schweine, je nachdem. Sie wollen oder können ihr Brot nicht selbst verdienen, darum betteln sie um Almosen.«
    Tugomir beobachtete, dass die Bettler in diesem Fall nur zwei oder drei Münzen, dafür reichlich Hiebe von der Reitgerte einer der Damen ernteten. Verängstigt duckten sie sich weg und verschwanden. Ungläubig wandte er sich an Udo. »Du willst mir im Ernst weismachen, dass ihr die Blinden und Gebrechlichen und Waisenkinder einfach ihrem Schicksal überlasst?«, fragte er.
    Udo breitete kurz die Arme aus. »Was zum Henker sollen wir denn sonst mit ihnen machen?«
    »Sie versorgen.«
    »Das tut der König ja«, entgegnete Udo gereizt, als finde er sich unerwartet in der misslichen Lage, die Ordnung der Welt verteidigen zu müssen. »Es gibt eine feste Zahl an Bettlern, die ständig von der königlichen Kammer beköstigt werden. Und die edlen Herren machen es genauso. Die Bischöfe und Klöster erst recht.«
    Tugomir nickte zu den Bettlern hinüber, die sich im Schatten der Palisade herumdrückten, um auf den

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