Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
des Buchgottes um den Hals. Aber es fühlte sich eigenartig an, Abscheu vor einem Mann zu empfinden, der aussah wie das eigene Spiegelbild.
Wenzel entbot König Heinrich einen ehrerbietigen und höflichen Gruß, kniete aber nicht nieder. Das musste er auch nicht – schließlich war er keiner von Heinrichs Vasallen –, und der König nahm es auch nicht übel. »Wenzel! Dass Ihr die weite und gewiss beschwerliche Reise auf Euch genommen habt, ist eine unerwartete Freude.«
Der böhmische Fürst verneigte sich. »Ich war nicht fern von hier, und mein guter Freund, Arnulf von Bayern, machte den Vorschlag, ihn nach Quedlinburg zu begleiten.«
»Großartig, großartig«, rief der König jovial, aber seine Miene verriet, dass er nicht so recht klug aus Wenzels Besuch wurde.
Dessen ungeachtet erhob er sich, drehte Wenzel an der Schulter zur Halle um und rief: »Seht, edle Herren, Freunde und Vettern, Wenzel von Böhmen ist zu uns gekommen. Und das scheint mir genau die richtige Gelegenheit, Euch einen weiteren Slawenfürsten vorzustellen, der derzeit unser … Gast ist: Prinz Tugomir von Brandenburg!« Mit einer seiner typischen ausladenden Bewegungen winkte er Tugomir zu sich.
Der rührte sich nicht. So sehr graute ihm vor diesem Moment, dass seine Glieder ihm schwer wie Blei vorkamen.
»Geh schon«, zischte Thankmar. »Dir bleibt nichts anderes übrig.«
Er hatte recht.
Tugomir erhob sich langsamer als gewöhnlich, trat zu Heinrich und Wenzel und starrte auf einen der mächtigen schmiedeeisernen Fackelständer hinter der hohen Tafel.
Heinrich drehte auch ihn zu seinen Gästen um, die Hand auf Tugomirs Schulter unerbittlich wie eine Schraubzwinge. Er ließ sie dort, als er verkündete: »Bei der Einnahme der Brandenburg im letzten Winter wurde Prinz Tugomir unser Gefangener, doch inzwischen ist er der Freund meiner Söhne.« Der Druck auf Tugomirs Schulter verstärkte sich, und der Prinz verstand die Botschaft ohne Mühe: Wenn du mir widersprichst, bist du tot . »Ich will Euch nicht verhehlen, dass er vor wenigen Tagen sogar zu Prinz Ottos Lebensretter geworden ist. Und auch Wenzel von Böhmen hat erkannt, dass die Freundschaft des ostfränkischen Reiches ein Gut von hohem Wert ist und hat sich darüber hinaus zu unserem Herrn Jesus Christus bekannt. Wir sind weit mehr als nur der Fuß im Nacken der slawischen Völker! Wir haben feste Wurzeln jenseits der Elbe geschlagen und treue Gefolgsleute gefunden.«
Die Adligen und Kirchenfürsten an den langen Tafeln trommelten mit den Bechern auf die Tische, um ihren Beifall zu bekunden. Der »Aufstand« der Redarier und die grauenvolle Schlacht von Lenzen, die noch keine zwei Wochen zurücklagen, schienen vergessen. Sie feierten ihren König, der nicht nur stark genug war, die slawischen Völker zu besiegen, sondern weise genug, sie zu befrieden, und Arnulf von Bayern rief: »Wenn die Ungarn das nächste Mal kommen, werden sie schon vor Prag geschlagen!«
Das kam besonders gut an. Die Ungarn waren der größte Schrecken aller Völker westlich der Elbe, wusste Tugomir, jedes Bollwerk gegen sie willkommen. Jubelrufe mischten sich in den Beifall.
»Lass sie doch glauben, unsere Unterwerfung zu feiern, Vetter«, raunte Fürst Wenzel Tugomir im Schutz des allgemeinen Getöses zu. »Mir scheint, du nimmst es zu schwer.«
»Und mir scheint, du nimmst es zu leicht.«
Ehe Wenzel antworten konnte, bedeutete König Heinrich ihnen mit einem diskreten Wink, dass sie sich von dem exponierten Platz vor der hohen Tafel entfernen sollten, und Tugomir kehrte zu den Prinzen zurück, ohne seinen Cousin noch einmal anzuschauen.
Er setzte sich auf seinen Platz und starrte auf die Tischkante hinab. Thankmar schob einen Weinbecher in sein Blickfeld und sagte kein Wort.
Tugomir war ihm dankbar und zu zermürbt, um dagegen anzukämpfen. Er nahm einen ordentlichen Zug.
Thankmar bedauerte Tugomirs Demütigung, aber er dachte, es sei vermutlich besser, sparsam mit seinem Mitgefühl umzugehen, denn seine eigene Demütigung stand ja noch bevor. Der König hatte diesen Hoftag ganz genau geplant und durchdacht, wusste er. Mit den Herzögen, den Erzbischöfen, den wichtigen Grafen, Bischöfen und Äbten hatte er längst unter vier Augen gesprochen. Dieses prunkvolle Spektakel, zu welchem auch das Vorführen der slawischen Fürsten gehörte, war nur ein Mummenschanz.
Das Festmahl begann in gelöster, euphorischer Stimmung. Dampfende Platten mit Ochsen- und Hammelfleisch wurden aufgetragen, an
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