Das Haus am Abgrund
mit den Fingern über die Ellenbeuge schabte, stieß ich gegen einen festgeklebten Viggo. Die hatten mich an einen Tropf gehängt? Warum das denn?
Ich wollte Jonathan fragen, aber er hielt mir schon ein Glas hin, und der Durst siegte über die Neugier. Ich trank in kleinen, dann immer größeren Schlucken. Das kühle Wasser rann durch meine trockene Kehle und ich stöhnte vor Wonne.
Die Tür wurde geöffnet und Toby stand vor mir. Er legte wortlos seine Arme um mich, und beinahe hätte ich den Rest meines Wassers über uns beide geschüttet, aber Jonathan nahm es mir rechtzeitig ab.
»Toby, wann bist du gekommen? Ich habe dich gar nicht gehört«, fragte ich. Oh, wie glücklich ich war, er war wieder zu Hause!
Mein Vater schüttelte den Kopf und ließ mich los. Er sah mich so streng und prüfend an, dass ich lachen musste. »Was ist?« Mir war ein bisschen schwindelig, also legte ich mich zurück auf mein Kissen. »Was habt ihr? Wieso habe ich einen Katheter im Arm?«
Toby setzte sich auf die Bettkante. Er nahm meine Hand und streichelte sie. »Wie geht es dir?«, fragte er.
»Bescheiden«, gab ich zu. »Ich habe mich wohl erkältet.« In dem Moment, in dem ich es aussprach, hatte mein dumpfer Kopf die Einzelheiten sortiert und in die richtige Reihenfolge gebracht. Jonty an meinem Bett, Toby wieder im Haus, der Tropf. »Scheiße«, sagte ich. Toby schoss mir einen strengen Blick zu, aber er rügte mich nicht, wie er es sonst getan hätte, wenn ich in seiner Gegenwart fluchte. Das war noch ein Puzzleteil mehr. Ich schloss die Augen und schluckte. »War es ein schlimmer Anfall?«
K eine Antwort. Ich hörte, wie Toby sich räusperte. »Dr. Cockerell war hier«, sagte er mit neutraler Stimme.
Das sagte mir mehr als genug. Sie hätten Dr. Cockerell nicht aus London geholt, wenn sie nicht geglaubt hätten, dass meine Uhr abgelaufen war. Ich öffnete die Augen wieder und nickte. »Es geht mir gut«, sagte ich. Und um die Sorge aus ihren Gesichtern zu vertreiben, setzte ich mich auf, obwohl mir immer noch übel und schwindelig war. Mein Blick fiel auf das Fenster. Tiefe Nacht. Ein großer, silberner Vollmond. »Warum seid ihr nicht im Bett?«, fragte ich. War es so schlimm gewesen, dass sie Nachtwache halten mussten? Beide?
Ich sah den Blick, den sie wechselten. »Es ist noch ein bisschen zu früh«, sagte Toby schließlich. »Mach dir keine Gedanken über uns. Möchtest du etwas? Eine Suppe, etwas Warmes? Du kannst jederzeit um alles bitten. Und Ms Dickins ist auch noch bis heute Abend da.«
Ich muss zugeben, dass ich den letzten Teil des Satzes nicht wirklich verstand, aber ich nickte und lächelte. »Danke, ich bin nicht hungrig.« Ich schob das Kissen in eine bequeme Position. Fühlte meiner Mattigkeit und Schwäche nach, legte mich wieder hin. »Ich denke, ich schlafe noch ein bisschen.«
Als ich wieder wach wurde, war niemand im Zimmer. Niemand außer dem Roshi, der im Lotossitz im Sessel am Fenster hockte. Es war immer noch Nacht, also hatte ich nicht lange geschlafen.
»Êdorian«, sagte er und nickte mir zu.
»Roshi, ich habe es mal wieder versaut.«
Er faltete seine Beine auseinander und lehnte sich vor. »Hadere nicht zu sehr mit dir. Der alte Feind ist mit jeder Generati o n schwerer zu besiegen. Er lernt und wird schlauer. Er hat das Dorf hinter sich. Du fängst immer wieder von vorne an. Das ist kein Kinderspiel, Êdorian.«
Das war es nicht. Ich setzte mich auf und rubbelte mir über die Augen. Irgendetwas stimmte mit meiner Sicht nicht, sie war verschwommen, wie durch Milchglas. Ich blinzelte ein paar Mal, dann klärte sich mein Blick. »Ich erinnere mich«, sagte ich. Es war ein verblüffendes Gefühl, als würde ein Vorhang beiseitegeschoben. Ich blickte auf eine lange, blutige Reihe von Szenenbildern, in denen ich dem dunklen Fremden gegenüberstand, ihm mit einem Spieß drohte, einem Schwert, einer Pistole, einem Messer, einem Morgenstern ... ich trug Spitzenkragen und kurze Hosen, grobe Strümpfe, Pantinen und einen derben Bauernkittel, eine farbenfrohe Uniform, eine Dienerjacke, eine Livree, ein Wams, eine Kniehose, Stiefel und Schnallenschuhe, lange Haare, einen Zopf, einen seltsamen Topfschnitt, kurze Stoppelhaare ... mir wurde schwindelig. Die Bilder tanzten einen wilden Tanz, der sich um sein schwarzes Zentrum drehte, den finsteren Cenn Crúach, dessen Körper aus den Wänden des Hauses zu wachsen schien. Und der mich tötete. Mit einer beiläufigen Handbewegung, die mir den Atem
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