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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Unförmig-Undefinierbares auf dem Boden – ein großer Stein oder ein Haufen Lumpen? Wie sollte so etwas in den Garten gekommen sein? Heute Morgen hatte es jedenfalls noch nicht dort gelegen.
    Ich stieß die Hintertür auf und ging darauf zu. Hatte jemand einfach einen Müllsack in unseren Garten geworfen? Ich hörte Fliegen summen und ein widerlicher Geruch stach in meine Nase.
    D ann hatte ich das Ding erreicht und starrte es ratlos an. Was war das? Es war mit Stoff umhüllt, wie ein menschlicher Torso, dunkel vor Nässe, und lag in einer beinahe schwarzen Pfütze. Der Stoff war zerrissen und zerfetzt, und darunter war ... blutiges Fleisch? Das Schimmern von Knochen und Sehnen? Und es stank nach Blut und Scheiße ...
    Das war ein widerlicher, ekliger Streich. Da hatte jemand ein geschlachtetes Tier in Kleider gewickelt und hier abgelegt. Ich würgte, wandte mich ab und wollte ins Haus zurück, um nachzusehen, ob Toby im Arbeitszimmer war. Das musste weggeschafft werden. Wie ekelhaft. Irgendein Irrer hatte offensichtlich etwas gegen meine Familie.
    Im Wegdrehen trifft mein Blick auf die heruntergefallenen Mauersteine, die neben der Magnolie im Gras liegen. Eben war da noch nichts gewesen, aber jetzt hockt der Joker auf dem Steinhaufen, hat seine langen Beine in den engen Hosen übereinandergeschlagen und wippt mit dem Fuß, der in einem schwarzen, spitzen Lederschuh steckt. Er grinst mich an und winkt. Seine Hand sieht seltsam aus. Neben seinem Fuß liegt unsere Axt, ihr Blatt ist rot verschmiert. »Hallo, Adrian«, sagt der Joker und zwinkert mir heftig zu. »Hattest du einen schönen Ausflug? Ein bisschen mit der kleinen Blonden herumgemacht, hm?« Er streicht sich geziert durch die grünen Haare. Seine Finger wackeln unkoordiniert herum, und ich erkenne mit einem Gruseln, dass es nicht seine eigene Hand ist, die da durch seine Haare streicht – er hält einen abgetrennten Arm in der Hand. Einen Puppenarm, was sonst? Ich schlucke und mache unwillkürlich einen Schritt auf ihn zu. Mein Fuß stößt an etwas Hartes und gleichzeitig Nach g iebiges, das mit einem schmatzenden Geräusch davonkullert. Es bleibt liegen und ein abgetrennter Kopf starrt mich aus blutigen Augenhöhlen an.
    Ich reiße meinen Blick von dem Anblick los und sehe den Joker an, der sich gerade einen glotzenden Augapfel in den Mund steckt und zerbeißt. »Lecker«, sagt er.
    »Was ...«, krächze ich. In meinen Ohren donnert der Puls und mein Blick verschwimmt. Der abgetrennte Kopf. Die Hand. Der Körper ohne Gliedmaßen. Das Auge. Ich kenne jedes einzelne Teil und will es nicht wahrhaben. Es kann nicht sein. Es darf nicht sein. Mein Geist schreit laut und schrill, damit ich meine Gedanken nicht hören kann.
    Ich bin, ohne es zu bemerken, auf den Joker zugetaumelt. Er zwinkert, lacht und streichelt mir mit der toten Hand über den Kopf. »Braver Junge«, sagt er mit seiner schrillen Stimme. »Schau mal, wir haben dir eine Schaukel an den Baum gehängt.« Er packt meine Schulter und dreht mich um, und ich bin viel zu geschockt, um mich zu wehren.
    Von einem der stärkeren Äste hängt ein Körper herab, schaukelt sacht im Wind, der vom Meer kommt. Ein violett angelaufenes Gesicht, hervorquellende Augen, eine dicke, aus dem Mund tretende Zunge ...
    »Sag ›Hallo Daddo‹«, flüstert die Stimme des Jokers in mein Ohr. Die tote Hand landet auf meiner Schulter und tätschelt sie. Jontys Hand. Meines Vaters dunkel angelaufenes Gesicht, sein schlaff an dem Seil baumelnder Körper.
    Ich höre mich schreien und beobachte mit beiläufigem Interesse, dass ich anscheinend gerade dabei bin, in Ohnmacht zu fallen. Wie unglaublich komisch das aussieht. Fast so komisch w ie der zerfleischte, zerhackte Leichnam auf dem Boden und der Gehängte an seinem Ast. Sehr, sehr ulkig. Wirklich, eine so komische Familie, diese Smolletts! Ich kreische vor Lachen, und es ist das irre Lachen des Jokers, das aus meinem Mund schrillt.
    »Habe ich jetzt vielleicht für einen Moment Ihre Aufmerksamkeit, Master Adrian?«, fragt Moriarty. »Es wäre wirklich sehr dringend!«

Novembers Tagebuch
    St. Irais, 28. Mai
    I ch bin wirklich hinüber ins Kutscherhaus gegangen, mit einem Korb voller leckerer selbst gemachter Sachen, den Mrs Hocking mir gepackt hat. Sie fand es sehr angemessen und passend, dass wir die neuen Mieter willkommen heißen, und hat sich gefreut, dass ich die Aufgabe übernehme.
    Pastete und Butter, ein frisches Brot und ein halber Kuchen waren in dem Korb, ein

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