Das Haus am Abgrund
meinen Ellbogen und ich machte einen Satz. »Êdorian«, flüsterte der Roshi, »komm. Bitte. Komm mit hinaus. Jetzt!«
»Roshi«, sagte ich atemlos. »Mach das nie wieder!«
Seine Hand fasste fest zu, er zog an meinem Arm. Das hatte er noch nie getan. Ich war so verblüfft, dass ich ihm folgte wie ein L ämmchen. »Du solltest hier nicht sein«, sagte er. »Das ist ein böser Ort, ein ganz und gar unguter, böser Ort.«
»Roshi«, ich begann mich gegen seinen Griff zu wehren, »du sagst immer, es gibt nichts Böses, nur Dummheit und Blindheit und Absichten, die gut gemeint sind, aber ...«
»Hör auf zu schwafeln, komm!« Mit einem energischen Ruck brachte er mich ins Stolpern. Ich fiel vorwärts gegen die Haustür, die im gleichen Moment aufsprang. Ich stieß mir den Kopf, sah einen ganzen Himmel voller bunter Sterne und fand mich mit brummendem Schädel auf der Vordertreppe sitzend wieder.
Ich fühlte mich, als wäre ich gerade vom Mond gefallen. Was tat ich hier? Ich hockte auf einer kalten Steinstufe, deren abgebrochene Kante mir in den Hintern schnitt, hielt mir den Kopf, auf meiner Lippe war Blut und ich sah Sterne. Ich war allein. Hinter mir ragte düster das Haus auf, atmete Kälte und Modergeruch. Irgendwo klappte ein Fensterladen im Wind.
Ich stemmte mich mit wackeligen Beinen in die Höhe und drehte mich noch einmal zur Haustür um. Sie stand ein wenig schief in den Angeln, erwies sich aber fest verschlossen, als ich versuchte, den Türknauf zu drehen. In keinem der Fenster war Licht. Dieses Haus war so unbewohnt wie ein Grab.
Ich schüttelte die Beklemmung ab, die von dem Gemäuer ausging, und machte, dass ich nach Hause kam. In die warme, helle, freundliche Küche, in der es nur ein bisschen angebrannt roch, wie fast immer, wenn Jonty etwas brutzelte.
Die Erinnerung an meine Begegnung mit November in Heathcote Manor verblasste und verging, noch während ich über die Mauer zu unserem Garten kletterte.
14
Am nächsten Tag nach dem Abendessen war ich mit einer der geklau…, geborgten Flaschen unter der Jacke auf dem Weg zu Milton Skegg. Informationen gegen Schnaps. Ich kam mir vor wie ein Schmuggler. Es war kein wirklich tolles Gefühl – und das erzählte mir auch der Roshi, der auf dem ganzen Weg neben mir her trabte und mir in allen Tonarten die Meinung geigte.
Skegg saß am alten Kai und hielt eine Art Angelrute ins Wasser. Er sah mich, grinste und hob den Daumen. Dann spuckte er routiniert ins Wasser und angelte weiter.
Ich ging neben ihm in die Hocke und ließ ihn den Inhalt meiner Jacke sehen. Er kniff die Augen zusammen und nickte. »Teures Zeug. Gute Info gegen guten Stoff. Du hast begriffen, wie es funktioniert, Junge.« Er starrte auf den Schwimmer, der auf dem öligen Wasser tanzte. Schmutziger Schaum wurde an die Kaimauer gedrückt, Fetzen von Plastiktüten hatten sich in dem angetriebenen Gestrüpp verfangen und wehten wie moderndes Nixenhaar im Wasser. Ein Stück weiter entfernt dümpelte ein löchriger blauer Plastikkanister. Dies hier war das schmutzigste Stück Atlantikküste, das ich bisher zu Gesicht bekommen hatte. W ahrscheinlich zog Skegg den Dreck an. Ich grinste.
Er starrte wieder meine Jacke an, die Stelle, wo die Flasche unter meinem Arm klemmte. Mit einem entschlossenen Ruck zog er die Angel aus dem Wasser und legte das geflickte Ding auf den Kai. »Komm«, sagte er und stiefelte voraus zu seiner Hütte.
Ich atmete durch den Mund, bis ich mich an den Geruch in dem muffigen kleinen Kabuff gewöhnt hatte.
Er kramte in einer der Kisten herum. Dann drehte er sich mit triumphierender Miene um und stellte zwei schmierig aussehende Gläser auf den improvisierten Tisch. »Gib her.« Er hielt mir auffordernd die Hand hin und ich reichte ihm die Flasche. Der Verschluss knackte, dann gluckerte Gin in beide Gläser. Skegg schob mir eins davon hin und setzte gleichzeitig das andere an den Mund. Ich starrte mein Glas entsetzt an. Es trug deutliche, schwarze Fingerabdrücke und sein Rand war verschmiert. »Ich trinke keinen Alkohol«, sagte ich. Was für ein Glück!
»Kluger Bursche«, erwiderte Skegg und zog das Glas zu sich herüber. »Das Zeug bringt einen um.« Er starrte mich über den Rand seines Glases an. »Also. Was willst du wissen?«
Ich runzelte die Stirn. Was wollte ich wissen? »Warum glauben die Leute hier, Heathcote Manor wäre ein Spukhaus?«
Er lachte und kippte den Gin in einem Schluck hinunter. »Gutes Zeug«, sagte er heiser. Er sah die Flasche
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