Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
Besseren. Du hast ihm Selbstvertrauen geschenkt. Du hast ihn verstanden, seinen Humor, seine Intelligenz. Ihr habt großartig zusammengepasst.«
Mir war nicht bewusst gewesen, dass Lucas all das aufgefallen war. Doch ich konnte nicht darüber sprechen. Nicht, wenn Aidans Brief in meiner Tasche lag. Lucas erwartete auch keine Antwort. Er war noch nicht fertig.
»Also, Ella, was hattest du dir von deiner Ehe erhofft? Dass ihr beide glücklich bis ans Ende eurer Tage leben würdet? Dass euch, nachdem ihr euch gefunden hattet, sämtliche Irrungen und Wirrungen erspart blieben? Dass ihr wiedergutmachen würdet, was euch in eurer Kindheit an Ungutem widerfahren ist?«
Ich konnte mich nicht zurückhalten. »Woher weißt du das?«
»Ich habe es gesehen. Und es hat mir bei allem, was ich über euch beide und eure Familien weiß, vollkommen eingeleuchtet. Aber niemand ist vor Schmerz gefeit, Ella. Es gibt keine ausgleichende Gerechtigkeit für Kummer oder Leid. Doch man kann sich frei entscheiden, wie man mit dem, was einem das Leben zumutet, umgeht. Manche stehen das gemeinsam durch. Andere nicht.«
Ich fühlte mich kritisiert. Ich hatte den Eindruck, ich müsste mich erklären. »Lucas, unser Baby ist gestorben. Felix ist gestorben. Wir haben uns nicht über die Frage entzweit, wer den Abwasch machen soll oder immer die Handtücher auf dem Boden liegen lässt.«
»Das weiß ich, Ella.«
»Ich dachte, wenn irgendjemand auf meiner Seite wäre, dann doch du. Aber das stimmt nicht, oder? Jedenfalls nicht mehr.«
»Ich war immer auf deiner Seite.«
»Aber jetzt nicht mehr. Seit ich hier bin, fragst du mich ständig, warum ich nicht mit Aidan spreche. Warum ich seine Briefe nicht lese. Warum ich mich nicht mit ihm treffe.«
»Und ich habe noch immer keine Antwort erhalten.«
»Weil ich nicht kann !« Es war beinahe ein Schrei.
»Warum nicht?«
»Es würde zu sehr schmerzen.« Die Wahrheit, einmal entfesselt, wütete in mir. »Ich musste ihn verlassen, Lucas. Ich musste gehen. Wir konnten kaum im selben Zimmer sein. Wir konnten uns nicht einmal mehr ansehen.«
Nun strömte alles aus mir heraus. Ich wollte Lucas erklären, wie es mir ergangen war, was in den ersten Wochen nach Felix’ Tod geschehen war. Dass ich mich, nachdem ich Aidan verlassen hatte, daran gewöhnt hatte, mit mir, mit meinem Schmerz allein zu sein, und dass ich begriffen hatte, dass ich Aidan niemals wiedersehen durfte. Denn wenn ich das täte, wenn ich schon seine Stimme hören würde, würde ich wieder ganz am Anfang stehen, bei dem Tag, an dem Felix gestorben war. Ich hatte in den vergangenen zwanzig Monaten unablässig versucht, eine Mauer zwischen mich und diesen Schmerz zu setzen. Und jeden Tag hatte ich erfahren müssen, wie löchrig, wie brüchig diese Mauer war. Schon der Anblick eines Bilds von Felix schlug ein Loch hinein, zog mich rückwärts durch die Zeit, machte den Schmerz so roh, als wäre alles eben erst geschehen. Wie würde das erst, wenn ich Aidan sprechen, Aidan sehen würde?
»Ich kann das nicht riskieren, Lucas. Dieses entsetzliche Gefühl ertrage ich kein zweites Mal. Es würde mich umbringen.«
»Aber das tut es doch. Es bringt dich um. Und Aidan auch. Ihr müsst euch gegenseitig helfen.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Das war es also? Dein Schwur ist damit hinfällig? In guten und in schlechten Tagen? War es doch zu mühsam?«
»Ausgerechnet du solltest nicht über Schwüre sprechen. Sieh dich doch an, dich und Henrietta und ihren Mann. Das ist doch keine Ehe, das ist doch eine Farce!«
»Es ist unser Arrangement, Ella. Das haben wir frei gewählt. Und es kommt uns allen dreien zupass. Das kann man nicht mit dir und Aidan vergleichen. Aidan hatte keine Wahl. Du hast ihn im Stich gelassen, als er dich am dringendsten gebraucht hätte. So wie du auch Jess verlassen hast und deine Mutter und Walter.«
»Das höre ich mir nicht länger an. Du hast kein Recht, so etwas zu sagen.«
»Wer, wenn nicht ich? Charlie hat alles versucht. Aber sein Umgang mit dir gleicht einem Eiertanz, aus Angst, dass du auch ihn aus deinem Leben verbannst. Das gilt für alle. Wusstest du, dass mich deine Mutter, seit du hier bist, zweimal in der Woche anruft, um zu hören, wie es dir geht?«
»Das glaube ich dir nicht.«
»Es ist aber so. Weil auch sie Angst hat, du könntest dich von ihr abwenden, falls sie etwas Falsches sagt. Sie will bloß mit dir sprechen. Vor allem will sie mit dir über Felix sprechen. Sie will mit dir die Erinnerung
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