Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
»Der Körper folgt seiner Natur. Lass es einfach geschehen«, hatte sie geraten.
Sie hatte mir auch empfohlen, am besten alle medizinischen Verhaltensmaßregeln zu ignorieren. Mum vertraute ganz auf Dr. Rob, den Fernseh-Arzt ihres Senders. Wir hatten zahlreiche E-Mails mit Links zu seinen Programmen erhalten. Und sie uns gemeinsam angesehen. Aber nicht immer war auf Mums technische Meisterschaft Verlass.
»Sie ist wirklich rührend«, sagte Aidan im Anschluss an einen Clip. »Und wenn ich das sagen darf, du leidest seit deiner Schwangerschaft tatsächlich unter einem üblen Warzenbefall.«
Am nächsten Tag kam wieder eine E-Mail. »Ups! Sorry wegen der Warzen. Hier ist der richtige Link.« Es ging um Windelausschlag.
»Dann doch lieber Warzen«, sagte Aidan.
Mum hatte auch für die Zeit nach der Geburt vorsorgen und unseren Kühlschrank mit Selbstgekochtem füllen wollen. Drei Wochen vor Felix’ Geburt war sie am Wochenende zu uns gekommen. Sie hatte jede Hilfe abgelehnt. Am Ende eines langen Tages in der Küche und nach sehr viel Chaos stand eine wackelige Quiche da. Die nicht wirkte, als würde sie auch nur einen einzigen Tag überdauern, ganz zu schweigen von Monaten im Eisfach. Wir hatten sie noch am selben Abend gegessen.
Nur Tage, nachdem Mum wieder nach Hause geflogen war, hatte es an der Tür geklopft. Draußen hatte der Lieferwagen eines der bekanntesten Restaurants der Stadt gestanden. Mum hatte eine riesige Menge feinster Gerichte bestellt, beschriftet und gefrierfertig. Hoffentlich ist keine Quiche dabei! , stand auf ihrer Nachricht. Das hatte uns in den ersten beiden Monaten ernährt.
Am Tag nach Felix’ Geburt waren Mum, Walter und Jess nach Canberra geflogen. Und mit Armen voller Geschenke an meinem Bett erschienen. Mum mit Blumen, Walter mit Champagner, Jess mit ihrem Laptop. Sie hatte daran herumgespielt, während wir abwechselnd Felix im Arm gehalten, seinen schwarzen Haarschopf bestaunt und versucht hatten zu entscheiden, wem er ähnlicher sah, mir oder Aidan. Nein, er hatte eindeutig Aidans Ohren. Ja, aber meine Nase. Unterdessen hatte Jess Kabel eingesteckt und Tasten gedrückt. Plötzlich, dank der Wundertechnologie von Skype, waren ein winkender Charlie und seine Familie auf dem Bildschirm erschienen, um den heimischen Computer gedrängt. Jess hatte alles arrangiert. Und als die Zeit in London günstig war, hatte sie das Gleiche mit Lucas getan. Er hatte den Laptop eines Studenten benutzt, oben, in seiner Dachstube. Ich hatte die Fuchs-Gemälde an der Wand gesehen, als wir gesprochen, als wir Felix in die Kamera gehalten hatten.
All das hatte ich vergessen.
Mir kamen Lucas’ Worte in den Sinn. Wir alle haben ihn geliebt.
Ich dachte an die Fotos, die ich immer bei mir trug. Felix mit mir. Aidan mit Felix. Wir alle drei. Das wundervolle Bild von Lucas, Charlie, Aidan und Felix. Doch es gab so viele Fotos, die ich gar nicht mitgenommen hatte, als ich fortgegangen war. Unzählige Fotos von Mum mit Felix. Wange an Wange. Mum, die ihm vorliest. Mit ihm spazieren geht. Mit ihm lacht. Ihn auf dem Arm hält. Ein Foto von Felix auf dem hellgrünen Kissen, das ihm Mum genäht hatte, in das sie seinen Namen in gelber Wolle eingestickt hatte. Mum war jede Handarbeit zuwider, doch sie hatte sich die Zeit genommen, seinen Namen und sein Geburtsdatum zu sticken. Felix hatte das Kissen geliebt.
Auch von Walter und Felix existierten Fotos. Allerdings nur wenige. Meistens hatte Walter fotografiert. Aber ein Foto gab es, ein sehr komisches, auf dem Walter Felix festhält, ein wenig ungelenk auf den Knien wippen lässt und lacht, weil Felix ihn am Bart zupft. Wo war das Bild? Hatte ich es für Aidan dagelassen? Einfach irgendwo gelassen?
Weitere Erinnerungen tauchten auf. Walter, der bei der Beerdigung weint. Der Mum im Arm hält, die bitterlich weint. Tränen auch auf seinem Gesicht. Ich erinnerte mich, dass er hinter Mum gestanden hatte, als sie mich zum ersten Mal in dem Restaurant in St Kilda aufgesucht hatten, und sie stützen musste. Wortwörtlich stützen.
Nun ließen sich die Erinnerungen nicht mehr bannen.
Ich musste an Jess und Felix denken. Ess und Elix. Ihre Kosenamen. Auch sie war, wann immer es ging, nach Canberra gekommen. Nicht nur mit ihrem Freund. Wenn Aidan und ich, alle paar Monate, nach Melbourne gefahren waren, war sie immer als Erste zum Wagen gestürmt, hatte Felix aus dem Kindersitz geholt, sich als Erste angeboten, auf ihn aufzupassen. »Komm zu Tante Ess, Elix«, hatte
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