Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
an ihr Enkelkind teilen, mit dir, der Mutter, doch auch das gestehst du ihr nicht zu.«
»Das ist nicht wahr. Sie …« In dem Moment fiel mir ein, was sie am Vortag gesagt hatte. Ich war nicht sicher, ob es mir zusteht, eine Messe für Felix lesen zu lassen.
Lucas ergriff erneut das Wort. »Felix war dein Sohn, Ella, aber wir alle haben ihn geliebt. Du bist nicht die Einzige, die Schmerz und Kummer durchlebt. Du bist nicht die Einzige, die ihn vermisst. Weißt du, dass du mich noch kein einziges Mal gefragt hast, wie es mir geht? Wie es mir ergangen ist, als ich meinen wundervollen Großneffen verloren habe?«
Ich versuchte, mich zu erinnern. Ich hatte ihn bestimmt gefragt. Bestimmt.
Seine Stimme wurde sanfter. »Du bist wie eine Tochter für mich, Ella. Das weißt du. Ich wollte keine Kinder, aber dann habe ich dich bekommen und damit nur die schönen Dinge. Deine Neugierde, deine Freundschaft, deine Faxe und Briefe. Ich durfte sehen, wie aus dir eine erwachsene Frau wurde, ich durfte an deinem Leben teilhaben, stolz auf dich sein. Durch mich hast du deinen Mann kennengelernt. Ich war bei deiner Hochzeit. Ich war der Pate eures ersten Kindes. Du hast mir so viel gegeben. Aber auch mich hast du nicht um Felix trauern lassen. Das darfst nur du allein.«
Ich weinte längst. »Lucas, ich wollte nicht …«
Er breitete die Arme aus. Ich ließ mich hineinfallen. Ich drückte mein Gesicht an seinen Pullover und weinte, bis die Tränen versiegten.
Er wartete. Dann wurde seine Stimme weich. »Ella, du warst dein ganzes Leben so, weißt du das? Du hast immer erwartet, dass die Menschen um dich herum perfekt sind. Und warst immer aufgebracht, wenn es nicht so war. Das schiebe ich auf meinen Bruder. Wenn er sich nicht von Meredith hätte scheiden lassen, wenn du in einer glücklichen Familie aufgewachsen wärst, wärst du womöglich anders.«
Ich trat einen Schritt zurück und wischte mir barsch die Tränen fort. »Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit.«
»Wirklich? Ich hatte immer den gegenteiligen Eindruck. Ich war immer sehr besorgt um dich. Aber offenbar zu Unrecht. Du hattest also eine sehr glückliche Kindheit. Gut.«
Wir gingen langsam weiter. Und ich sagte ihm die Wahrheit. »Es war nicht immer leicht. Besonders, als Mum wieder geheiratet hat. Und Jess auf die Welt gekommen ist.«
»Das hast du nie überwunden, oder?«
Ich blieb stehen. »Was?«
»Deine Eifersucht. Ich habe bestimmt Hunderte Faxe von dir erhalten, in denen es allein um Jess ging.«
»Ich kann nicht über Jess sprechen, Lucas.«
»Du kannst. Du solltest. Du solltest über sie sprechen, bis du endlich alles gesagt hast.«
Ich ging weiter. Lucas sprach zu meinem Rücken, seine Worte drangen deutlich durch die kühle, neblige Luft.
»Ella, ich kann dich nicht daran hindern, wieder fortzulaufen. Es steht dir frei zu gehen. Und das wirst du sicher tun, nachdem ich dir leichtsinnigerweise gestanden habe, dass es keinen Diebstahl gab.«
Ich blieb stehen und wandte mich um. »Ich will nicht gehen.«
»Gut. Ich will nämlich auch nicht, dass du gehst.«
Ich kehrte zu Lucas zurück.
Er lächelte. »Du warst übrigens keine besonders gute Detektivin, falls ich das sagen darf.«
»Und, falls ich das sagen darf, deine Studenten könnten dich wegen übler Nachrede verklagen.«
»Sie ahnen nichts. Sie glauben wirklich, dass du sie wegen eines Artikels befragt hast. Sie haben sich übrigens schon danach erkundigt. Gut möglich, dass du den Text jetzt schreiben musst.«
»Du hast sogar Henrietta überzeugt, oder? Auch sie belogen.«
»Die Diebstähle haben sie überhaupt nicht interessiert. Es wird sie noch weniger interessieren, dass es keine gegeben hat.«
Er streckte den Arm aus. Ich hakte mich bei ihm ein. Wir gingen zurück in Richtung Haus.
»Also, was wirst du wegen Jess unternehmen, nun, da sie in der Stadt ist?«
»Nichts.« Mein Ton war wieder viel zu scharf. Aber das änderte nichts an den Tatsachen. »Ich weiß, in deinen Augen ist das einfach, Lucas, doch das ist es nicht. Du glaubst, ich müsste bloß mit ihr und Aidan reden, gemeinsam weinen, und schon geht das Leben weiter. Doch das wird es nicht. Verstehst du das denn nicht? Wie kann ich je vergessen, dass Felix durch diese beiden Menschen umgekommen ist?«
»Ist er nicht.«
»Ist er wohl, Lucas.«
»Felix ist gestorben, weil er mit dem Kopf auf einen Felsen aufgeschlagen ist, Ella. Weil er von einem Zaun gefallen ist und sich dieses Unglück tragischerweise ereignet
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