Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
hat, als Jess auf ihn aufgepasst hat. Und das, weil Aidan dringend zur Arbeit gerufen wurde. So ist es geschehen. Genau so ist es geschehen. Und Jess und Aidan für den Rest deines Lebens zu hassen wird daran nichts ändern.«
»Aber ich hasse sie doch nicht.« Nicht?
»Nein? Was hat dich denn in den vergangenen zwanzig Monaten angetrieben, Ella? Was hat dich denn ständig davonlaufen lassen? Wenn es kein Hass war, was denn dann?«
Angst. Das Wort erschien in Großbuchstaben vor meinem geistigen Auge. Ich hatte solche Angst.
Wir kamen zu Hause an, und ich wartete darauf, dass Lucas die Tür aufschloss. Doch er blieb stehen und drehte sich zu mir. »Du hast noch keinen Zutritt, Ella.«
»Aber ich muss für heute Abend kochen. Ich muss eine Einkaufsliste und die Besorgungen machen.«
»Vergiss das mit dem Abendessen. Du wirst auf der Stelle wieder in den Park gehen und Aidans Brief lesen. Du darfst erst ins Haus, wenn du den Brief gelesen hast.«
Es war ihm ernst. Daran bestand kein Zweifel.
Ich fügte mich. »Na schön.«
Kapitel 38
Ich ging in die italienischen Gärten, setzte mich auf »meine« Bank und zog Aidans Brief aus dem Notizbuch.
Ich sah auf den Umschlag. Ich zögerte den Moment hinaus. Die Handschrift war mir so vertraut. Aidan hatte mir im Laufe unserer Beziehung zahlreiche Nachrichten geschrieben, von Anfang an.
Wir hatten bei Lucas zunächst getrennte Zimmer behalten. Eines Nachmittags, als ich nach Hause gekommen war, hatte ein Zettel unter meiner Tür gelegen. Liebe Ella, Du bist wunderschön. Gezeichnet: ein heimlicher Verehrer.
»Danke für deine Nachricht«, hatte ich später zu ihm gesagt.
Er hatte gelächelt. »Nachricht? Welche Nachricht?«
In Australien hatte er damit weitergemacht. Er hatte damals lange Arbeitstage. Wenn ich wach wurde, war er oft schon unterwegs. Und dann lag auf dem Kopfkissen oder neben dem Toaster stets ein Zettel.
Im Kühlschrank steht frischer Saft. Du bist wundervoll.
Wenn ich abends zu einem Geschäftsessen gehen musste, wartete hinterher ein Zettel auf dem Küchentisch.
Charlie hat angerufen. Liebe Grüße. Noch mehr Liebe von mir.
Willkommen daheim. Werde meine Nachrichten ab jetzt kodieren. I L D. Kannst Du das entschlüsseln?
In den ersten Wochen nach seiner Geburt wollte unser Sohn die ganze Nacht lang wach sein und den ganzen Tag lang schlafen. Ich holte bei jeder Gelegenheit Schlaf nach, oft schon, sobald Aidan durch die Tür trat. Wir konnten kaum miteinander reden. Einige Tage lang hatten wir nur über Nachrichten kommuniziert.
E, die Flaschen sind sterilisiert. Habe mit Felix über seine nächtlichen Eskapaden gesprochen. Ich soll Dir danken, dass Du seinetwegen die ganze Nacht lang wach geblieben bist. Er habe sich mit Dir großartig amüsiert. W L D.
E, habe heute Abend mit Deiner Mutter gesprochen. Sorry, kleine Korrektur, habe Deiner Mutter zugehört. Sie freut sich sehr. Kommt Freitag um 18 Uhr mit dem Flieger an. Besteht darauf, ein Taxi zu nehmen. Übrigens – I L D. Felix auch. (Vieles spricht dafür, dass das auch für Deine Mutter gilt.)
Seit Felix auf der Welt war, war Mum oft nach Canberra gekommen, mindestens jedes zweite oder dritte Wochenende. Wieso hatte ich das vergessen? In den vergangenen zwanzig Monaten hatte ich immer nur an den Besuch an jenem letzten Wochenende denken können.
Sie hatte auch darauf bestanden, noch vor der Geburt, dass unser Kind sie Oma nennen sollte. Ich war fassungslos gewesen. »Oma? Nicht Meredith?« Die vier Kinder von Charlie und Lucy nannten Mum so. Auch Charlie hatte sie immer nur Meredith genannt, nie Mum. Sie hatten ein gutes, wenn nicht gar enges Verhältnis, aber er war immer ihr Stiefsohn geblieben und sie sich immer der Tatsache bewusst, dass Charlies Kinder ihre Stief-Enkelkinder und nicht ihre richtigen Enkelkinder waren. Wieder zeigten sich die Komplikationen einer Patchwork-Familie. Walter hatte bei Charlie immer Papa geheißen, eine kleine Hommage an ihre deutschen Wurzeln.
Bei Felix war das anders. Mum war sehr entschieden. »Ich bin die Oma, und darum will ich auch Oma genannt werden.« Felix hatte sich daran gehalten. Es war eines seiner ersten deutlichen Worte gewesen.
Auch während meiner Schwangerschaft hatte ich oft mit Mum gesprochen. »Keine Panik«, sagte sie, als ich sie nach unserem ersten, verstörenden Termin in der Geburtsklinik angerufen hatte. Dort hatte man uns ein ziemlich drastisches Video einer Geburt gezeigt. Aidan war sehr bleich geworden. Ich auch.
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