Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
waren gerade gelandet, hatten ihr Gepäck geholt und waren am Taxistand auf dem Weg zum Hotel. Walter ging es nicht gut. Er hatte auf dem Flug Nasenbluten bekommen. Nichts Dramatisches, doch er musste sich eine Weile hinlegen. Aber natürlich konnte Jess auf Felix aufpassen. Überhaupt kein Problem. Sie würden einfach zwei Taxen nehmen. Jess wäre in zehn Minuten da. Das war doch das perfekte Timing, fanden alle. Wie gut das Schicksal es doch manchmal meinte. Und wozu hatte man Familie?
Wenn der Anruf von der Agentur eine Stunde später gekommen wäre, hätte Walter kein Nasenbluten mehr gehabt, dann hätten er und Mum auf Felix aufgepasst. Wenn Mum Walters Geburtstag auf eine andere Weise geplant hätte, wären sie gar nicht nach Canberra gekommen. Dann hätte Aidan Felix mit zur Arbeit nehmen müssen. Dann wäre Felix von einer Sekretärin oder jungen Wissenschaftlerin verwöhnt und unterhalten worden, wie auch umgekehrt.
Wenn.
Als Jess mit dem Taxi eintraf, stand Aidan schon im Anzug, Aktentasche in der Hand, mit dem Schlüssel klappernd an der Tür.
Felix saß im Wohnzimmer auf dem Boden, spielte mit seinen Bauklötzen, lächelte, winkte und lachte seinem Überraschungsgast entgegen.
»Du rettest Leben«, sagte Aidan zu Jess. »Es wird nicht lang dauern, höchstens zwei Stunden. Felix hat gegessen und geschlafen, er hätte nur gern etwas frische Luft.«
»Ich auch. Im Flieger hat es furchtbar gestunken«, erwiderte Jess. »Ansonsten alles klar. Wir kommen zurecht.«
Aidan sagte zu Jess, dass ich in der Stadt sei und es keinen Grund gebe, mich aufzuscheuchen, er sei sicher vor mir zurück, aber falls nicht, wäre es doch eine nette Überraschung, wenn Jess bei Felix war. Walter und Meredith wären dann ja möglicherweise auch schon da. Als Begrüßungskomitee.
Jess ging mit Felix in den Park, der zwei Straßen entfernt lag. Felix liebte den Park. Er liebte die Schaukeln, die Rutsche, das Klettergerüst und den Sandkasten. Am meisten aber liebte er das kleine Naturschutzgebiet gleich neben dem Spielplatz. Es war von einem Zaun umgeben, der die Anpflanzung von dem natürlichen Bewuchs trennte. Wenn wir Zeit hatten, hoben wir Felix hoch auf das Geländer, hielten ihn an der Taille sehr gut fest, und dann ging er Schritt um Schritt wie ein kleiner Seiltänzer über die Stange und lachte so vergnügt, dass wir ebenfalls lachen mussten.
Er war erst zwanzig Monate alt. Er konnte noch nicht balancieren. Noch nicht. Irgendjemand musste ihn festhalten. Er konnte zwar gut laufen, und mit dem Gleichgewicht hatte er auch keine Probleme, doch er war erst zwanzig Monate alt.
Aidan erzählte, dass Jess ihm erzählt hätte, dass sie schon auf dem Nachhauseweg gewesen seien, als Felix zurückgelaufen wäre und verlangt, geschrien hätte, sie müsse ihn auf den Zaun heben und auf dem Geländer balancieren lassen. Jess war einmal mit uns auf dem Spielplatz gewesen und hatte das Ritual beobachtet. Sie wusste, was Felix von ihr wollte. Also hob sie ihn hoch. Drei Mal ging es gut, von einem Ende bis zum anderen, hin und her und wieder hin und dann nach unten.
Es passierte beim vierten Mal.
Ihr Handy klingelte. Es war ihr On-Off-Freund. Sie redeten. Felix zupfte Jess am Rock und versuchte, den Zaun emporzuklettern. Jess, das Telefon am Ohr, hob ihn hoch, stellte seine Füße auf das Geländer und ging mit ihm los. Felix lachte. Sie telefonierte.
Sie waren fast am Ende angekommen, höchstens einen halben Meter noch, da flog Jess irgendetwas ins Gesicht. Eine Biene, eine Wespe, sie konnte es nicht sagen. Sie wich instinktiv zurück. Und ließ Felix los. Nicht ihr Handy, sondern Felix. Felix fiel. Nicht auf Jess zu. Nicht auf den Spielplatz. Sondern auf die andere Seite, das Naturschutzgebiet, dort wo Baumwurzeln waren, Erdklumpen und Felsen, verborgen unter Blättern.
Sein Kopf schlug mit voller Wucht auf einem Felsen auf.
Er hat nicht gelitten, versicherte mir Aidan, immer und immer wieder. »Es ist schnell gegangen, Ella. Er war auf der Stelle tot.«
Er war gestürzt, während ich auf einer Massagebank gelegen, mich von Meeresrauschen einlullen lassen, Lavendelduft eingeatmet und gedacht hatte, es sei das Paradies auf Erden. Welch fataler Irrtum. Mich hatte die Hölle auf Erden erwartet.
Jess kletterte über den Zaun, nahm Felix in den Arm, versuchte, ihn wiederzubeleben, rief den Krankenwagen, schrie, bis Passanten und andere Eltern kamen. Ich weiß in allen Einzelheiten, was geschehen ist, aber ich kann es hier nicht
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