Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
und meinen Studenten ein saniertes Haus und fünf Jahre freie Wissenschaft erkaufen. Und ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass es mir das wert ist.«
Es war nicht schwer gewesen, überdurchschnittlich intelligente Studenten zu rekrutieren. Lucas’ Haus war so begehrt, dass es eine Warteliste gab. Nach einer Woche voller Vorstellungsgespräche hatte sich Lucas für vier neue Studenten entschieden, alle Ende zwanzig, spezialisiert auf Sprachen, Biochemie, Mathematik und Physik. Alle promovierten. Und alle arbeiteten nun in jeder freien Minute als Nachhilfelehrer. Zwei ihrer Schüler hatten schon Preise gewonnen. Von Fortschritten wussten alle Eltern zu berichten. Und sie beglichen auch alle Honorare. Lucas hatte bereits einen Architekten angeheuert. Die Umbauten sollten Ende des Sommers beginnen.
Das klang alles gut. Mir war nicht klar, wo ich dabei ins Spiel kam. »Hättest du gern, dass ich die Umbaumaßnahmen beaufsichtige?«
»Nein, das macht der Architekt.«
»Soll ich mich um die Arbeitspläne der Studenten kümmern?«
»Nein, das mache ich. Mit Henriettas Unterstützung. Sie hilft mir auch dabei, die Fortschritte der Schüler einzuschätzen.«
Henrietta war nicht nur Dozentin an der gleichen Universität. Sie war auch seit langen Jahren Lucas’ Freundin. Doch darauf ging ich in dem Moment nicht ein. »Wie kann ich dann helfen?«
»Ella, du musst Detektivin für mich spielen.«
Ich lächelte. Unwillkürlich.
»Es ist mir ernst«, sagte Lucas. »Ich habe einen Dieb im Haus.«
Ich sah das Chaos in den Zimmern vor mir. »Woher willst du das wissen?«
»Die Diebstähle passieren nicht in diesem Haus. Lass es mich erklären.«
Alle seine Studenten gingen zu verschiedenen Klienten, je nachdem, welche Fächer verlangt wurden.
»Ich würde gern einen Nachhilfelehrer aufbieten, der angewandte Physik, sehr gut Mandarin, Französisch, Spanisch, klassische Literatur und Algebra beherrscht, aber so etwas gibt es nicht. Jeder Student ist auf seinem Feld herausragend. Und so geht jeder zu verschiedenen Zeiten in verschiedene Häuser.«
Das kannte ich noch von früher. Damals war Aidan Lucas’ Sprachenexperte gewesen. Er sprach fließend Französisch, Englisch, Spanisch, Italienisch und natürlich Irisch, seine Muttersprache. Nicht dass unter den Kindern der Londoner Oberschicht ein großer Bedarf an Irisch-Unterricht bestanden hätte.
Vor zwei Monaten nun hatte Lucas einen Anruf von einem langjährigen Klienten erhalten. Die beiden ältesten Kinder hatten es mit der entsprechenden Förderung nach Cambridge geschafft. Das dritte Kind, eine Tochter im Teenageralter, hatte Yale im Blick. Alle vier Studenten halfen ihr auf den Weg. Lucas hätte den Vater nicht unbedingt als Freund bezeichnet, doch sie kannten sich schon lange.
»Ihren Studenten ist bei uns nicht zufällig etwas oder jemand Ungewöhnliches aufgefallen?«, hatte sich der Vater erkundigt. »Ich frage nur, weil etwas fehlt.«
Das »Etwas« war eine kleine, aber sehr wertvolle Seekarte aus dem 18. Jahrhundert. Beim Abendessen, beim Frühstück, bei beiläufigen Begegnungen hatte Lucas die Frage vorsichtig an seine Mitbewohner weitergeleitet. Nein, konnte Lucas daraufhin berichten, niemand hatte etwas Widriges bemerkt.
»Sie hat sich wohl in Luft aufgelöst«, hatte der Klient gesagt.
Drei Wochen später war der nächste Anruf gekommen, eine ganz ähnliche Frage von einem anderen Klienten. Ganz diskret, er wollte keinen Wirbel. Ein Diamantkollier war verschwunden. Lucas’ Klient verdächtigte einen Angestellten. Hatten die Studenten irgendetwas gesehen oder gehört? Lucas fragte sie erneut. Hatten sie nicht.
Zehn Tage später, der dritte Anruf. Diesmal betraf es eine kleine Skulptur. Eine kostbare Statuette. Und wieder fragte Lucas seine Studenten, ob ihnen etwas aufgefallen sei. Nichts, versicherten sie ihm.
Vor zwei Wochen war der vierte Anruf gekommen. Es fehlte ein antiker Ring. Nein, niemand hatte etwas bemerkt.
Vier Klienten, vier Diebstähle, in vier Monaten. Lucas wusste, dass seine Klienten sich untereinander nicht austauschten. Die Verträge enthielten Vertraulichkeitsklauseln. Aber dass alle vier Klienten fast zur gleichen Zeit bestohlen worden waren, das sprach gegen einen Zufall. Es musste eine Verbindung geben. Und die führte zu Lucas’ Studenten.
»Wurde die Polizei eingeschaltet?«, fragte ich.
»In zwei Fällen, ja. Dort hat die Polizei, sofern möglich, sogar das Material der Überwachungskameras gesichtet und jeden
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