Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
Ort der Ruhe und Entspannung, mit üppigem Samt und zarten Blautönen. Im Fenster hing eine Preisliste, auf der auch Massagen standen. Ich wusste, was ich wollte. Eine einstündige Massage mit Aromaölen und sanfter Musik.
Ich hatte Glück. Die Kosmetikerin hatte Zeit. »Am besten schließen Sie Ihre Sachen in einem der Fächer ein. Bringen Sie nur den Schlüssel mit.«
Ich war gelöst und gehorsam. Ich ließ mein Handy in der Handtasche und meine Handtasche in dem Schließfach. Eine Stunde auf der Massageliege. Was sollte da passieren?
In dieser einen Stunde starb Felix.
Im Behandlungsraum führte die Kosmetikerin mit mir zunächst ein kurzes Gespräch. War ich in letzter Zeit massiert worden? Ich lachte und sagte, nein, seit Jahren nicht. Ich erklärte ihr, dass mich mein Mann gewissermaßen zur Tür hinausgeschoben hätte, damit ich mir einen schönen Tag machte. »Dann ist Ihr Mann die absolute Ausnahme«, sagte die Kosmetikerin. Dem konnte ich nur zustimmen.
Es wurde die beste Massage, die ich jemals hatte. Die Kosmetikerin fand sämtliche Knötchen in meinen Schultern und löste sie. Sie drückte bis in tiefste Rückenregionen und entspannte Muskeln, deren Existenz mir nicht einmal bekannt gewesen war. Am Ende der Behandlung schlich sie aus dem Raum und kam wenige Minuten später zurück. Ihr nächster Termin wäre erst in einer Stunde. Sie hatte gerade eine neue Gesichtsbehandlung gelernt. Ob sie die Methode kostenfrei an mir erproben dürfe? Ich wäre ihr Versuchskaninchen. Ob ich Zeit hätte?
Natürlich sagte ich Ja.
Vierzig Minuten später schwebte ich wie auf Wolken aus dem Behandlungsraum. Ich zog mich an und holte mein Handy hervor. Dann erst. Nicht in dem Moment, als ich zu meinem Schließfach kam. So eine schlechte Mutter war ich. So selbstsüchtig war ich. In jenen zehn Minuten hätte ich schon auf dem Weg zum Krankenhaus sein können.
Was interessiert mich, dass die Ärzte sagen, es wäre zu dem Zeitpunkt schon zu spät gewesen. Vielleicht auch nicht. Was interessiert mich, was der Gerichtsmediziner über den Todeszeitpunkt sagt. Wenn Felix meine Stimme gehört hätte, wenn er mich gespürt hätte, hätte er doch mit aller Kraft gegen das angekämpft, was ihn von mir fortgezogen hat. Ich habe diese Augenblicke immer und immer wieder durchlebt. Warum habe ich nicht gleich, als ich aus dem Massageraum gekommen bin, auf mein Handy geschaut? Warum habe ich mein Handy nicht mit in den Behandlungsraum genommen? Warum habe ich mich auf dieses Facial eingelassen? Warum habe ich mir überhaupt einen freien Tag erlaubt? Warum, warum, warum …
Ich hatte dreißig versäumte Anrufe. Drei waren von Jess, die übrigen von Aidan. Noch während ich auf das Display sah, klingelte mein Handy wieder.
»Aidan, was ist los? Ist was passiert?«
»Ella – Ella, es ist was mit Felix …«
Als er es mir sagte, schrie ich. Die Empfangsdame stürmte herein. Ich stand dort mit meinem Handy.
Ich konnte nicht sprechen.
Sie nahm mir das Handy ab. Sie redete mit Aidan. Ich erinnere mich nicht, aber offenbar hat sie ein Taxi gerufen und dem Fahrer den Namen des Krankenhauses genannt. Sie ist mit mir hingefahren. Ich habe nie herausgefunden, wie sie heißt, und ich habe ihr auch nie gedankt. Aber sie ist bei mir geblieben und hat mich im Arm gehalten, bis wir am Krankenhaus angekommen sind und sie mich Aidan überlassen konnte.
Da war Felix bereits tot. Seit fünfzig Minuten tot.
Das ist Jess’ Schuld. Das ist Aidans Schuld. Das ist meine Schuld.
Zehn Minuten, nachdem Aidan mit mir am Telefon gescherzt und mir gesagt hatte, ich solle ihn und Felix doch endlich für den einen Tag vergessen, war ein Anruf aus der Agentur gekommen. Ein Notfall. Nachverhandlungen in letzter Minute. Sie brauchten einen erfahrenen Dolmetscher. Der Botschafter hatte ausdrücklich nach Aidan verlangt. Wie schnell könne er kommen? Gar nicht, hatte Aidan erwidert. Er müsse auf seinen Sohn aufpassen. Seine Frau sei nicht da. Es tue ihm sehr leid, aber …
Irgendwie musste er es möglich machen. Sie brauchten ihn, und zwar auf der Stelle. Und nur ihn. Es ging um Verträge in Millionenhöhe. Zahlreiche Jobs standen auf dem Spiel. Nein, er konnte seinen Sohn nicht mitbringen. Das war ein hochrangiges Treffen. »Gibt es denn sonst niemanden in Ihrer Familie, der sich um Ihren Sohn kümmern könnte? Nur für eine Stunde? Ein Nachbar? Irgendwer?«
Aidan hatte meine Mutter angerufen. Beim dritten Klingeln war sie an ihr Handy gegangen. Sie
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