Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
verrückt gemacht, wenn ich arbeitete und Aidan auch nur einen Apfel aß. Felix’ Stifte-Schlagen hat mich nie gestört.
Es geschah im Winter, Mitte Juni. Felix war, selbst für seine Verhältnisse, besonders energiegeladen – und nachts fünf Mal, oder häufiger noch, wach geworden. Das war acht Nächte in Folge so gegangen. Aidan hatte unglaublich viel Arbeit, weil in Canberra eine internationale Handelskonferenz stattfand. Für ihn hieß das Sechzehn-Stunden-Tage. Sobald er nach Hause kam, fiel er ins Bett. Also stand ich nachts auf. Es machte mir nichts aus. Die Konferenz bedeutete viel für Aidan. Bei mir war es arbeitsmäßig ruhig, mir setzte der Schlafmangel weniger zu, und wenn Felix seinen Mittagsschlaf hielt, holte ich einfach die eine oder andere Stunde nach.
Aidans Konferenz sollte an einem Donnerstag zu Ende gehen. Die Delegierten wollten noch einen Tag in der Stadt verbringen, Aidans offizieller Part jedoch war vorüber. Das Timing war perfekt. Walters Geburtstag stand bevor, und zur Feier des Tages wollte er mit Mum und Jess nach Canberra kommen, zu einem Kulturwochenende, wie Mum es nannte. Sie hatten vor, in einem Hotel zu übernachten – unsere Wohnung war zu klein. Am Freitag wollten sie tagsüber die Museen besuchen, abends wollten wir alle gemeinsam essen gehen.
Zwischen Jess und mir hatte es in der Zeit davor Spannungen gegeben. Sie hatte eine On-Off-Beziehung mit einem Kommilitonen aus ihrer Theaterklasse. Da er aus Canberra stammte, hatte sie mit ihm mehrfach seine Familie besucht – und bei der Gelegenheit auch uns, zuletzt einen Monat zuvor. Sie hatte auf der Schwelle gestanden und wie üblich gerufen: »Ich bin’s, Jess!« Dann war sie ins Haus gerauscht, hatte allen einen Kuss auf die Wange gedrückt, auch Felix, uns gesagt, wie goldig er sei – »Er wird später einmal so viele Herzen brechen!« – und die restliche Zeit ihres einstündigen Besuchs ausschließlich von sich erzählt: dass sie gerade einen Tanzpreis gewonnen hatte, für welche Rollen sie vorgesprochen hatte oder vorsprechen wollte, wie sehr sie die Gastauftritte in Mums Kochshow liebte und wie großartig es sei, wenn sie auf der Straße um Autogramme gebeten wurde.
Ich war an dem Tag extrem erschöpft gewesen. Felix hatte in der Nacht kaum geschlafen. Doch während Jess ihren Wortschwall auf uns losließ, war Felix in meinen Armen eingeschlummert. Ich hatte mich leise entschuldigt und ihn in sein Zimmer gebracht. Ich hatte ihn ins Bettchen gelegt, ihm die Wange gestreichelt und erleichtert beobachtet, dass er tief und ruhig atmete. Das verhieß mehrere Stunden Schlaf. Dann aber war Jess im Wohnzimmer von ihrem Stuhl gesprungen und hatte Aidan ihre neuen Steppschritte vorgeführt. In ihren Winterstiefeln. Auf unserem Holzfußboden. Ich erschreckte mich ebenso wie Felix. Er hatte sich in seinem Bettchen aufgesetzt und geweint. Ich war ins Wohnzimmer geeilt und hatte Jess angeschrien – aus vollem Halse. Ihr vorgeworfen, sie sei selbstsüchtig. Selbstbezogen. Selbstverliebt. Sie war in Tränen ausgebrochen und hatte mich angeschrien. Felix hatte noch lauter geweint, Aidan versucht zu schlichten. Daraufhin hatte ich Aidan angeschrien, er solle sich nicht in meine Familienangelegenheiten einmischen.
»Du bist doch bloß eifersüchtig«, hatte Jess mir vorgehalten, als sie tränenreich, theatralisch, nach Tasche und Mantel griff und zur Tür stürmte. »Das war doch immer so.« Das Essen an Walters Geburtstag sollte unser erstes Wiedersehen seit jenem Streit werden.
Am Abend davor, nach der großen Konferenz, stellte Aidan sein erstes Feierabendbier ab, warf einen Blick auf die dunklen Ringe unter meinen Augen und sagte: »Arabella Fox Baum O’Hanlon, du bist wunderschön, aber müde. Hiermit übernehme ich die Zuständigkeit für die Belange dieser Welt. Und kraft meines Amtes gewähre ich dir morgen einen freien Tag, nur für dich, Beginn um acht Uhr morgens.«
Ich weiß noch, dass ich gelacht hatte. »Klar, Aidan. Und Felix erkläre ich, dass er sich morgen um sich selbst zu kümmern hat, oder wie?«
»Natürlich nicht. Sein liebender, biologischer, fähiger Vater wird sich höchstselbst um Felix kümmern.« Als ich protestieren wollte, hob Aidan die Hand. »Ella, ich will es so. Mir fehlt Felix, dir eine Pause. Und er wird mich wohl kaum nach Handelszöllen, dem französischen Ausdruck für Sperrgebiete oder dem englischen für Hochrechnungen fragen, oder?«
»Wer weiß. Er ist für sein Alter
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