Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
und sich auf den ersten Blick in die jüngste Tochter verliebt. Die Familien waren gegen die Verbindung, und da sind die beiden durchgebrannt. Sie sind mitten in der Nacht geflohen, doch meine Mutter hat das Kochbuch ihrer Oma mitgenommen, damit sie, wohin es sie auch verschlagen würde, immer ein Stück Heimat bei sich wüsste.«
In dem Moment war ein anderer Student in die Küche gekommen. »Kein einziges Wort davon ist wahr, Ella. Sein voller Name lautet Aidan Joseph O’Hanlon, und er ist so italienisch wie die Queen.«
Aidan grinste. »Aber durch ihre Adern fließt italienisches Blut. Oder ist es deutsches?«
Nachdem der andere Student gegangen war, rührte ich wieder konzentriert in meiner Soße. Aidan war geblieben. Seine Gegenwart war mir ausgesprochen angenehm. Sonst störte es mich immer, wenn man mir beim Kochen zusah. »Also, nichts davon ist wahr?«
»Tut mir leid, nein.« Er lächelte wieder, sah auf die Uhr und verzog das Gesicht. »Ich komme zu spät zum Unterricht. Ich muss los.« An der Tür blieb er noch einmal stehen. »Das war ein Irrtum, Ella. Tut mir leid. Die Soße ist nicht gut. Sie ist sensationell.«
Er kam an dem Abend nicht zum Essen. Ich sah ihn eine ganze Woche nicht. Durch beiläufige Fragen an Lucas hatte ich erfahren, dass Aidan aufgrund seines Sprachtalents einer der gefragtesten Nachhilfelehrer war.
Als ich das nächste Mal mit Aidan sprach, stand ich wieder am Herd. Ich hatte mich an ein französisches Rezept gewagt.
Als Erstes erklang seine Stimme. »Ella, hallo.«
Ich drehte mich um, und bei seinem Anblick durchfuhr mich, sehr zu meiner Überraschung, ein kleiner Stoß, wie ein leichter elektrischer Schlag. »Hi, Aidan.«
»Ich bin total ausgehungert. Ich habe seit unserem Gespräch nichts mehr gegessen.«
»Nichts außer dem einen Löffel Pastasoße?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht mal einen Brotkrumen.«
»Dann musst du hungrig sein.«
»Sehr«, sagte er getragen. »Welche kulinarische Freude erwartet uns denn heute?« Wieder beugte er sich über mich und spähte in das Kochbuch. Wieder roch er nach Seife und Shampoo. Wieder vertrug sich sein Geruch zu gut mit dem Duft nach Kräutern, Weißwein und Knoblauch. Mich traf ein weiterer kleiner Schlag.
»Entrecôte à la bordelaise?« , las er in, wie ich annahm, perfektem Französisch vor, was in meinem Kochbuch stand. »Darf ich kosten?«
»Aber sicher.« Ich reichte ihm einen Löffel und versuchte, nicht zu lächeln.
Er probierte. »Sehr gut, aber leider kommt das nicht an die Soße meiner Mutter heran. Du musst wissen, als mein Vater jung war, zog es ihn nach Paris, und da hat er bei einer …«
Ich lachte und jagte ihn aus der Küche. Er grinste mir noch einmal zu, dann verschwand er. Ich hatte gehofft, dass er zum Abendessen kommen würde, doch das tat er nicht. Er blieb drei Tage unsichtbar. Bis er beiläufig die Einladung auf ein Bier aussprach und ich sie ebenso beiläufig annahm.
»Viel Spaß, Kinder«, rief Lucas uns nach.
Beim ersten Bier sprachen wir über London, seine Arbeit, über meinen Job in Bath. Beim zweiten sprach er über Irland, ich über Australien. Beim dritten sprachen wir über meine Familie. Aidan musste sehr über meine Charlie-Anekdoten und die wöchentlichen E-Mail-Berichte lachen. Ich erzählte Aidan auch von Jess, meiner sangeswütigen, tanzwütigen Halbschwester. Und ich erzählte, dass Mum und Walter sie anhimmelten. Vergötterten. Verwöhnten. In dem Moment warf er mir vor, ich sei eifersüchtig.
»Ich bin überhaupt nicht eifersüchtig. Sie ist doch meine kleine Schwester.«
»Halbschwester.«
»Schwester, Halbschwester. Das ist Wortklauberei.«
»Wie versteht sich Charlie denn mit ihr? Besser?«
»Bist du Linguist oder Psychologe?«
»Frage ich mich auch gerade.«
»Er empfindet ebenso für sie wie ich.«
»Widersprüchlich und eifersüchtig.«
»So empfinde ich nicht. Wirklich nicht.«
»Die Dame, wie mich dünkt, gelobt zu viel.«
»Der Herr, wie mich dünkt, gibt zu viel mit Shakespeare an.«
Er lächelte. »Ich habe auch Yeats, Heaney und Hardy drauf, wenn dir das lieber ist. Sogar Laurel und Hardy. Wenn es um Literatur geht, bin ich die reinste Jukebox.«
Ich trank noch einen Schluck Bier, überlegte, sah zu Aidan und entschied mich, ihm die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit, die mich in dem Moment mit Macht getroffen hatte.
»Ja. Du hast recht. Ich bin rasend eifersüchtig auf Jess. Sie macht mich völlig kirre. Immer schon.«
Aidan lachte. Ich auch.
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