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Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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soll man über so etwas hinwegkommen? Ich hatte diese Sätze und ähnliche in den vergangenen zwanzig Monaten von so vielen Menschen und so oft gehört, dass ich sie nicht mehr leiden mochte. Auf dem Weingut hatte ich gar nicht erzählt, was geschehen, warum ich dort war. Ich hatte nicht erzählt, dass ich vorher Redakteurin und nicht nur Küchenhilfe war. Ich hätte in meiner Branche arbeiten können. Als es sich herumgesprochen hatte, waren viele Angebote gekommen. Aber ich brauchte auf jedem Gebiet eine Veränderung. Ich ertrug keinerlei Verbindung zu meinem früheren Leben.
    Ich hatte aus meinem Umfeld oft gehört, dass Arbeit den Heilungsprozess beschleunigen würde. Doch das stimmt nicht. Ich kann meinen Körper noch so sehr beschäftigen, mein Geist bleibt davon unberührt. Er spielt mir unermüdlich, immer wieder, jede einzelne Sekunde dieses Tages vor, immer auf der Suche nach einem neuen Weg, sich zu erinnern, einem neuen Weg, das Geschehen zu verändern, und windet und verknotet sich dabei. Das war – das ist – das Qualvollste. Weil es keine Rolle spielt, wie oft ich es durchleuchte, wie oft ich es versuche umzuschreiben, es nimmt immer das gleiche Ende. Da hilft keine noch so schwere körperliche Arbeit, sei es draußen oder drinnen: weder das Schneiden noch das Binden der Reben noch die Lese, kein Schrubben und Putzen im Weingut selbst, kein Spülen, Kellnern, keine Arbeit als Küchenhilfe. Es nützt nichts, wenn man für Kollegen einspringt, ohne Murren Überstunden macht, lange Schichten abdient und in jeder freien Minute spazieren geht, damit man müde wird, der Körper sich erschöpft, damit dem Geist nichts anderes übrig bleibt, als auch zu schlafen … Nichts hilft.
    »Du siehst gut aus«, sagte Lucas.
    Das war geschmeichelt. Ich wusste, dass ich erschöpft aussah. Und meine Wimperntusche war bestimmt verlaufen. Ich versuchte mich an einem Lächeln. »Du auch. Hast du trainiert?«
    Darüber hatten wir immer schon gescherzt – Lucas hätte eher den Mond als ein Fitnessstudio betreten. Er grinste, fuhr sich durch die Locken und zerzauste sie noch mehr. Eine Verlegenheitsgeste, wenn sich die Aufmerksamkeit auf ihn richtete. Ich stellte ihn mir immer bei seinen Vorlesungen vor. Wahrscheinlich kam er bei jedem Satz dem Inbegriff des verrückten Professors näher.
    »Toller Pullover«, sagte ich. Den Pullover hatte ich gestrickt – versucht zu stricken – vor einundzwanzig Jahren, mit dreizehn.
    Ich hatte das Muster in einer alten Zeitschrift entdeckt und unsere Nachbarin überredet, mir das Stricken beizubringen. Auf der Brust sollte – was auch sonst – ein Fuchs prangen. Ich hatte alle Maschen durcheinandergebracht, den Pullover so oft aufgeribbelt und wieder neu begonnen, dass die Wolle in meinen immer schwitzigeren Händen vollständig verfilzte. Die Ärmel und der Umlegekragen hatten mir schon große Mühe bereitet, doch erst der Fuchs … Als der Pullover endlich fertig war, sah das Wesen auf dem Vorderteil eher wie E. T. aus. Trotzdem hatte ich mein Werk voller Stolz in Weihnachtspapier gewickelt und verschickt. Lucas hatte mir nicht nur ein Fax geschickt, in dem stand, wie sehr er den Pullover liebte und wie warm er war, sondern auch ein Foto, auf dem er den Pullover trug. Charlie hatte sich das Bild sehr gründlich angesehen. Er hatte netterweise keine Bemerkung zu meiner Strickkunst gemacht und sich ganz auf Lucas konzentriert. Es war das erste Foto, das er von ihm sah. »Ähnelt er deinem Dad? Ich meine natürlich, wenn dein Dad noch leben würde.«
    Lucas und mein Dad hatten sich sehr geähnelt. Charlie hatte richtig vermutet. Nun hatte ich eine Vorstellung davon, wie mein Vater ausgesehen hätte, wenn er nicht ums Leben gekommen wäre.
    Auch Mum hatte sich das Foto angesehen. Und die Ähnlichkeit zwischen Dad und Lucas nicht kommentiert, wohl aber die zwischen meinem Fuchs und einem Alien.
    »Ist doch nicht so schlimm. Übung macht den Meister«, hatte mich Walter getröstet. »Versuch dich doch mal an einem Pullover für Jess.«
    »Nein, danke«, hatte ich erwidert. Die Tage des Strickens waren endgültig vorüber.
    »Ich kann mich vor Angeboten kaum retten«, sagte Lucas nun. »Dieser Pullover ist ein Kunstwerk.«
    »Kunstwerk? So kann man es auch nennen.«
    Ich folgte Lucas in den Gegensalon. Das Haus wirkte so chaotisch wie noch nie.
    »Ein Drink?«, fragte er. »Für dich und deinen Körper ist es schließlich Nacht.«
    Ich schüttelte den Kopf. Dem Alkohol hatte ich

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