Das Haus am Lake Macquarie
wahrscheinlich nur ihre Mutter schützen. Die arme Jessica hatte einen Nervenzusammenbruch, als Ihr Vater starb. Ich nehme an, Celia wollte verhindern, dass Sie ihre Mutter aufsuchen und ihr unangenehme Fragen stellen.”
Das konnte Luke nachvollziehen. Ein Nervenzusammenbruch? dachte er erschüttert. Was für ein Mensch war sein Vater wirklich gewesen? Und hatte er, Luke, ihn je richtig gekannt? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden: Er musste die richtige Jessica Gilbert kennen lernen. “Sie sagten, Celias Mutter sei bei Ihnen?”
“Ja. Sie wohnt im Moment hier. Jemand muss sich um sie kümmern, denn sie redet nicht und isst kaum. Meistens sitzt sie nur da und blickt ins Leere. Oder sie weint.”
“Wo wohnen Sie, Helen? Ist es weit von Pretty Point entfernt?”
“Das möchte ich Ihnen lieber nicht verraten. Sonst platzen Sie am Ende noch hier herein und verstören meine Schwester.”
“Das würde ich niemals tun.”
“Wirklich nicht? Sicher sind Sie doch bei Celia auch unangekündigt aufgetaucht – sonst hätte sie Ihnen die Wahrheit gesagt. Sie hat Ihren Vater nicht gerade geliebt.”
“Das habe ich auch schon festgestellt.”
“Erlauben Sie mir bitte eine Frage: Wie sind Sie eigentlich darauf gekommen, dass Ihr Vater eine Geliebte hatte? Soweit ich weiß, hat er sich die größte Mühe gegeben, die Affäre vor seiner Familie geheim zu halten.”
Luke berichtete von dem Gespräch mit seinem Anwalt.
“Ach so”, sagte Helen zögernd. “Dann glauben Sie also, dass meine Schwester erst seit wenigen Jahren die Geliebte Ihres Vaters war?”
“Ja, natürlich. Was … was meinen Sie damit?” Lukes Herz begann heftig zu schlagen.
“Ich möchte Ihre Illusionen nicht zerstören, aber die Affäre mit meiner Schwester begann schon vor zwanzig Jahren.”
5. KAPITEL
C elia hatte aufgehört zu weinen. Sie sah in den Spiegel. Ihre Augen waren gerötet, das Haar war zerzaust, die Gesichtshaut ein wenig fleckig. Aber das war nichts im Vergleich zu der Katastrophe, die sie angerichtet hatte. Wie, um alles in der Welt, sollte sie Luke ihr Verhalten erklären – diesen Ausbruch von Hass auf seinen Vater, den sie doch angeblich liebte?
Vielleicht könnte ich ihm sagen, dass meine Liebe schließlich in Hass umgeschlagen sei, weil er seine Frau nicht habe verlassen wollen, um mich zu heiraten, dachte sie. Dass er sie, Celia, nur ausgenutzt habe. Ja, das wäre vielleicht eine Lösung.
Am liebsten hätte sie Luke die Wahrheit gesagt. Es widerstrebte ihr, sich als Lionels Geliebte auszugeben. Celia konnte gut verstehen, warum Luke ihr so merkwürdige Blicke zugeworfen hatte. Aber sie hatte keine Wahl, denn schließlich wollte sie ihre Mutter schützen – und dafür sorgen, dass diese das Haus behalten konnte.
Celia spritzte sich ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht. Sie gab sich keine große Mühe, ihr Aussehen zu verbessern. Schließlich ist mein Geliebter vor zwei Wochen ums Leben gekommen, dachte sie ironisch. Dann atmete sie tief ein, hob das Kinn und ging wieder nach unten.
Luke war nicht mehr im Wohnzimmer. Er stand auf der Terrasse und blickte zum See hinüber. Die Hände hatte er in die Hosentaschen geschoben, die Schultern leicht nach vorn gezogen. Seine Körpersprache drückte nicht Verärgerung aus, sondern Enttäuschung und Traurigkeit.
Celia wurde von Mitgefühl ergriffen. Ich kann ihn nicht mehr anlügen, dachte sie plötzlich. Er verdiente es, die Wahrheit zu erfahren. Vor Nervosität zog sich ihr der Magen zusammen, als sie die Glastür der Terrasse weiter aufschob.
Luke wandte sich um. Wieder sah er sie eindringlich an. Celia erwiderte seinen Blick. Zum ersten Mal sah sie in dem jungen Mann Luke Freeman und nicht Lionels Sohn. Er war attraktiver als sein Vater: Die Gesichtszüge waren feiner, der Mund war sinnlicher, die dunklen Wimpern waren dichter. Doch wie sein Vater hatte er dichtes dunkles Haar – und ein Kinn, das Durchsetzungsvermögen vermuten ließ. Auch was die Figur anging, ähnelte Luke seinem Vater. Er war groß und muskulös, hatte breite Schultern und sehr schmale Hüften. Er trug einen eleganten grauen Anzug, ein weißes Hemd und eine dunkelrote Krawatte. Doch Celia war sicher, ein Mann wie er würde immer großartig aussehen – ganz egal, was er trug.
Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sagte: “Es wird langsam kühl. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wieder hereinzukommen? Ich möchte Ihnen etwas
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