Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
ihn auf die Veranda, wo zwei Schaukelstühle aus Rohr mit Blick auf den breiten, trägen Fluss aufgestellt sind. Matthew fährt mit den Fingern über die schmiedeeisernen Verzierungen, während Isabella sich hinsetzt und schaukelt. »Ist das nicht herrlich?«, haucht sie.
»Zu herrlich für mich.«
Als es an die Tür klopft, zuckt er zusammen. Isabella lacht und berührt flüchtig seine Hand. »Du machst dir zu große Sorgen, Liebster. Das ist gewiss Berenice.« Sie geht hinein und öffnet die schwere Holztür. In der Tat steht Berenice in einem seidenen Teekleid davor. Sie umarmt Isabella herzlich, lässt sie dann los und tritt beiseite, um Matthew zu betrachten, der sich schüchtern im Hintergrund hält. Er ist nicht an Gesellschaft gewöhnt und schon gar nicht an den üppigen Komfort, der ihn hier umgibt. Er wirkt fehl am Platz. Zum ersten Mal bemerkt Isabella, dass sein Bart geschnitten werden muss. Sie spürt einen so scharfen, tiefen Schmerz, dass er ihr fast den Atem raubt.
»Berenice, ich möchte Ihnen gerne meinen Freund Mr. Matthew Seaward vorstellen.«
Falls Berenice sein Unbehagen bemerkt, ignoriert sie es und schüttelt ihm stattdessen herzlich die Hand. »Es ist mir eine Freude, Mr. Seaward.«
»Und es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Lady McAuliffe.«
Sie winkt den Titel mit ihrem Gehstock beiseite. »Ach was. Berenice reicht völlig. Und was ist Ihr Beruf, Mr. Seaward?«
»Ich bin Leuchtturmwärter und Telegrafenbeamter in Lighthouse Bay. Ich wohne seit sechs Jahren dort und diene dem Marineamt seit zwanzig Jahren.«
Sie neigt den Kopf. »Das nenne ich bewundernswerte Hingabe. Nun, ich bin mir sicher, dass Sie nicht hierbleiben und eine Stunde lang plappernde Frauen ertragen wollen, die sich Schmuckstücke anschauen. Darf ich Ihnen empfehlen, sich nach unten ins Lesezimmer zu begeben? Es ist ein sehr hübscher Raum mit Schreibtischen, und Sie können dort in aller Ruhe Zeitungen oder Journale studieren.«
Matthew lächelt, und Isabella wüsste gern, worüber er sich amüsiert. Vermutlich ist er selten in weiblicher Gesellschaft, und Berenice ist ein Original. Vielleicht jagt sie ihm auf angenehme Weise Angst ein. »Vielen Dank, Lady McAuliffe«, sagt er, fest entschlossen, den Klassenunterschied zu betonen. »Genau das werde ich tun.«
Als Matthew gegangen ist, drängt Berenice Isabella, ihr die neuen Schmuckstücke zu zeigen. Sie hat ihren kleinen Koffer während der ganzen Fahrt nicht aus den Augen gelassen. Jetzt legt sie ihn auf den Tisch und öffnet die Schließe. Berenice stößt einen Entzückensschrei aus. Sechs Broschen und drei Armbänder liegen darin. »Sie sind wunderschön, meine Liebe. Sie werden alle verkaufen. Ich habe meinen Freundinnen gesagt, sie sollen Geld mitbringen, damit sie nicht mit leeren Händen nach Hause gehen. Der Tee wird in zwanzig Minuten serviert. Sie können sich vorher frisch machen, und ich werde diese herrlichen Spielzeuge so ansprechend wie möglich herrichten.«
Isabella schlüpft mit klopfendem Herzen in ihr Schlafzimmer. Am Ende dieses Tages wird sie keinen einzigen Winterbourne-Edelstein mehr besitzen. Das kräftige Seil, das ihre Leben miteinander verbunden hat, zerfasert. Bald ist sie frei.
Sie gießt Wasser in die Schüssel auf dem Toilettentisch und spritzt es sich ins Gesicht. Es ist lange her, dass sie sich selbst im Spiegel gesehen hat, und sie ist überrascht, wie gut sie aussieht, wie rosig ihre Wangen und wie strahlend ihre Augen sind. Sie kann sich nicht daran erinnern, nach Daniels Tod jemals so gut ausgesehen zu haben. Sie war ein Schatten geworden, doch nun wächst sie wieder in alle drei Dimensionen hinein. Leise Panik: Heißt das, dass sie ihre Trauer überwunden hat? Bitte nicht. Nicht wenn es bedeutet, dass sie Daniel nicht mehr liebt.
Als es an die Tür klopft, erinnert sie sich an den Tee. Sie zupft rasch Haare und Bluse zurecht, glättet den Rock und kehrt ins Speisezimmer zurück.
Zwei junge Angestellte haben den Tee auf dem Esstisch serviert. Berenice hat einen Kartentisch auseinandergeklappt und die Broschen und Armbänder kunstvoll darauf arrangiert. Sie lächelt Isabella zu. »Sie sehen wunderschön aus, Mary.«
»Danke. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das je zurückgeben kann.«
Berenice nickt. »Vielleicht sind Sie eines Tages in der Position, jemand anderem zu helfen. Dann können Sie es auf diese Weise gutmachen.«
Isabella denkt an Xavier und seine lieblose Familie. Er
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