Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
den Hügel zum Leuchtturm hinauf.
Isabella ist nicht mehr in der Küche. Er läuft die Treppe hinauf und findet sie auf dem Boden, wo sie ihr Material durchsieht. Sie blickt auf. »Ich glaube, ich habe eine Schließe verloren.«
Er reicht ihr die Zeitung, die so gefaltet ist, dass sie die Anzeige lesen kann. Sie ist nur zwei Zoll hoch, eine schmale Spalte breit. Doch sie entdeckt sie sofort, und ihre Pupillen werden klein wie Stecknadelköpfe.
»In einem Monat bin ich weg.«
»Du solltest heute gehen. Sofort.« Bei dem Gedanken regt sich heftiger Widerstand in seinem Herzen.
»Er wird mich nicht finden. Noch nicht. Die Beschreibung könnte auf jede Frau passen. Überleg doch mal, wie viele blonde Frauen es an diesem Teil der Küste geben muss. Es sind viele Meilen. Das weiß er genau. Er ist verzweifelt und befürchtet, mich nie zu finden. Angesichts der ganzen Häfen an der Küste weiß er, dass ich überall auf der Welt sein kann.«
»Und wenn Katherine Fullbright es liest? Oder Abel Barrett? Er ist dir gegenüber sicher misstrauisch.«
»Abel Barrett wird nichts sagen«, erklärt sie mit zuversichtlicher Stimme. »Katarina kann nicht gut lesen, und die Anzeigen wird sie gar nicht beachten.«
»Wenn er nun beim nächsten Mal ein Bild veröffentlicht?«
»Das einzige Foto, das es von mir gibt, ist mein Hochzeitsfoto, das in England auf dem Kaminsims unseres Hauses steht. Er wird kaum danach schicken und Monate auf seine Ankunft warten.« Sie klingt nicht mehr ganz so zuversichtlich und will seine Ängste vertreiben, um sich selbst zu überzeugen.
»Du könntest am Ende der Woche schon weg sein«, sagt er. »Du könntest unterwegs zu deiner Schwester sein, nach Amerika.«
»Ich habe mich verpflichtet, Berenice’ Freundinnen diese Schmuckstücke zu liefern. Außerdem muss ich noch einmal nach Brisbane reisen, um mein Geld abzuholen.« Sie schaut ihm nicht in die Augen, und er spürt zum wiederholten Mal einen leisen Argwohn.
»Matthew, mein Liebster, selbst wenn Abel Barrett oder irgendjemand anders aus der Stadt Percy ein Telegramm schickt: Was sollte darin stehen? Dass ich hier war, aber etwas gestohlen habe und gezwungen war, die Stadt zu verlassen? Niemand weiß, dass ich noch hier wohne. Ich bin unsichtbar.«
Er lässt sich fürs Erste überzeugen. »Wir werden vorsichtig sein. Und du brichst auf, sobald du dein Geld hast.«
Sie schüttelt den Kopf. »Nach dem Ball. Ich habe so viel Arbeit hineingesteckt. In weniger als einem Monat reise ich ab. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wir werden vorsichtig sein, wie du sagst . Ich werde vorsichtig sein.« Sie betrachtet noch einmal die Anzeige, und er bemerkt einen Funken Angst in ihren Augen, bei dem sofort sein Beschützerinstinkt erwacht. Ja, selbst wenn Percy Winterbourne an der Tür des Leuchtturms auftauchte und fragte, ob Matthew sie gesehen habe, würde er alles in seiner Macht Stehende tun, um sie zu retten: lügen, kämpfen, ihn auf eine falsche Spur ans andere Ende des Landes schicken.
Tief in seinem Inneren weiß er, dass er nachgegeben hat, weil er diese letzten Wochen mit ihr verbringen will. Es passt nicht zu ihm, die praktischste Lösung zu ignorieren, aber er ist verliebt, das kann man ihm nicht vorwerfen. Er hofft, dass er es nicht bereuen wird.
***
Isabella fragt sich, wann Xavier zurückkommt. Sie wagt es nicht, jemanden in der Stadt zu fragen oder auch nur unter dem Mangobaum vor dem Exchange auf Abel Barrett zu warten. Er hat von zwei oder drei Monaten gesprochen, und das ist zwei Monate her, also kann es nicht mehr lange dauern. Sie steht oft auf der oberen Plattform des Leuchtturms und hält am Strand Ausschau nach Xavier und der Köchin. Nur kein neues Kindermädchen. Aber er ist nie da. Es ist ohnehin egal. Sie sagt sich, dass sie verpflichtet ist, den Schmuck zu verkaufen, sobald sie wieder in Brisbane ist. In Wahrheit aber will sie gar nicht weggehen, bevor Xavier zurück ist und sie entscheiden kann, was sie tun wird. Besser gesagt, wie sie es tun wird.
An einem strahlend hellen Morgen sitzt sie auf der Plattform, die Knie unters Kinn gezogen, die Füße nackt im Sonnenschein, als Matthew zu ihr tritt.
»Du hast ein Päckchen bekommen.« Er runzelt die Stirn.
»Was ist los?«
»Es ist an Mary Harrow im Leuchtturm adressiert. Du hättest niemandem deine Adresse geben dürfen, Isabella.«
Sie nimmt das Päckchen und dreht es um. Es ist von Berenice McAuliffe. »Sie wird mich nicht verraten«, sagt sie unsicher.
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