Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
ich weiß nicht, von wem Sie sprechen.« Matthew. Die Angst steigt in ihr auf, prickelt in ihrem ganzen Körper.
Weiteres Gemurmel. Sie kann es nicht ertragen. Sie öffnet die Tür einen Spalt und horcht.
»Warum sollte mir ein angesehener Herr sagen, dass ich sie hier finden kann?«
»Ich habe nie von Isabella Winterbourne gehört.«
»Sie ist auch als Mary Harrow bekannt.«
»Ich kann Ihnen nicht helfen.«
Es ist Percy. Der fleischgewordene Alptraum. Sie schließt die Schlafzimmertür und unterdrückt ein entsetztes Schluchzen. Ihre Augen schießen wild umher. Das Fenster. Sie greift nach ihrem Koffer und hievt ihn hindurch, rafft ihre Röcke und klettert so rasch und leise hinaus, wie sie nur kann. Sie landet mit einem dumpfen Laut auf dem Boden und rennt in den Wald.
***
Matthew spricht mit ruhiger, kräftiger Stimme, während Percy Winterbourne – ein Bursche mit rundem Gesicht und mürrischem Mund – schnell die Beherrschung verliert.
»Man hat mir gesagt, dass diese Mary Harrow, die unter falschem Namen lebt, über ebendieses Telegrafenbüro erreichbar sei. Sie müssen doch wissen, wo sie wohnt.«
»Man hat Sie falsch informiert. Ich mag mit einer Mary Harrow zu tun gehabt haben, ich mag sogar Telegramme für sie empfangen haben, aber ich habe mit sehr vielen Leuten zu tun, Sir. Man kann nicht von mir erwarten, dass ich mich an jeden Einzelnen erinnere, und ich weiß ganz gewiss nicht, wo sie wohnt.« Sein Herz zieht sich zusammen. Er muss Isabella beschützen, doch dieser Gentleman ist äußerst beharrlich. Matthew ist sich ziemlich sicher, dass er Percy im Kampf überwältigen könnte, hofft aber weiterhin, dass sich der Mann überzeugen lässt und wieder verschwindet.
»Warum fragen Sie nicht im Dorf herum?« Matthew spielt auf Zeit, damit Isabella verschwinden kann. »Falls sie in Lighthouse Bay wohnt, wird sie irgendjemand kennen.«
Percy zögert.
»Ich habe furchtbar viel zu tun, Sir. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich kann Ihnen wirklich nicht helfen.«
Percy kneift die Augen zusammen und verzieht die Lippen. »Ich bin ein reicher, mächtiger Mann. Ich hoffe um Ihretwillen, dass Sie mich nicht belügen.«
Matthew spreizt die Hände. »Weshalb sollte ich Sie belügen?«
Percy mustert ihn und seufzt resigniert.
»Guten Tag, Sir«, sagt Matthew und schließt die Tür.
Er wartet einen Augenblick, bis er hört, wie sich die Schritte entfernen. Seine Gedanken rasen. Ihr Plan ist in Gefahr. Er geht ins Schlafzimmer.
Isabella ist weg.
Er wagt es nicht, sie zu rufen. Er begibt sich in den Telegrafenraum und steigt dann die Treppe hinauf, doch sein Blut fließt plötzlich langsamer, denn er weiß, wo sie ist – und Percy muss durch ebendiesen Wald, um ins Dorf zu gelangen.
Er rennt los, klettert aus dem Fenster, um Percy nicht zu begegnen, und erreicht den nördlichen Saum des Waldes. Ihr blaues Kleid blitzt auf. Sie hat sich vorgebeugt, der Koffer steht neben ihr, sie gräbt mit bloßen Händen. Er eilt zu ihr und zieht sie hoch. Sie windet sich und protestiert, doch er legt ihr die Hand über den Mund. »Nein, Isabella«, zischt er. »Wir haben keine Zeit.«
Sie stößt seine Hand weg und flüstert mit rauher Stimme: »Wir haben noch eine Stunde.«
»Du darfst nicht hier draußen sein.«
Doch sie schaut schon wieder auf den Boden, auf den großen, vogelförmigen Stein, mit dem er die Stelle markiert hat, damit er herkommen und an sie denken kann, wenn sie nicht mehr da ist. Er weiß, dass ihr Instinkt sie zwingt, sich zu bücken und das Armband auszugraben.
Schritte. Sein Kopf schießt in die Höhe. Sie drückt sich an ihn. Percy Winterbourne stapft durchs Unterholz.
Matthews Griff wird fester, er dreht sie zu sich herum und führt sie rasch weg. Doch Percy hat sie schon gesehen.
»Isabella, du mörderische Hure!«, schreit er und stürzt los.
Matthew ergreift Isabellas kleinen, schweren Koffer, stößt sie vor sich her und läuft los, wobei ihm die Zweige ins Gesicht peitschen. Sie verlassen den Wald und laufen zum Leuchtturm. Sie müssen entweder über die Felsen hinunter zum Strand oder ins Landesinnere, wo der Wald dichter wird. Der Strand ist zu offen, also zieht er Isabella mit sich in den Wald und weiter nach Süden. Es hat nachts geregnet, der Boden ist schlammig, die weiche Erde saugt an seinen Schuhen. Isabella stolpert, doch er fängt sie auf, und sie bewegen sich tiefer zwischen die Bäume, ohne zu wissen, ob Percy noch in der Nähe ist. Er wünscht sich,
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