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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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kein Geld für den Kleiderschrank im Gang. In der kalten Jahreszeit musste Hanna sich immer erst die passenden Münzen besorgen. Der Lesesaal mit seinen barocken Stuckdecken war vor Kurzem modernisiert worden. Gewiss waren solche Maßnahmen notwendig, aber Hanna reagierte dennoch missmutig. All die Bücher, nach denen sie seit ihrem Studium jahrelang blind gegriffen hatte, standen jetzt an anderer Stelle, und die Sucherei nervte sie.
    Sie überflog noch einmal ihre Notizen aus dem entsprechenden Band des Inventars: »Nonnengraben 1. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts das einzige Haus in diesem Bereich der Geyerswörth-Insel. 1384 als ›Eulenburg‹ in den Quellen erwähnt. Der Ursprung des Namens ist nicht mehr sicher erklärbar. Es liegt nahe, anzunehmen, dass es sich um ein bereits im Verfall begriffenes Haus handelte, das nur noch von Eulen bewohnt war. 1579 gehörte das Anwesen Dr. jur. Johann Reuß, genannt der Türke, und umfasste Haus, Hof, Abort, Garten und ›Lusthäuslein‹. Nach dem Verkauf an den Fürstbischof wurde es Dienstwohnung des fürstbischöflichen Oberhofgärtners, der zuständig war für den benachbarten Renaissancegarten des landesherrlichen Schlosses, für … Orangerien … Figuren … Eremitorium … Wasserspiele …«
    Der Artikel in den Bamberger Blättern beschäftigte sich näher mit den Bewohnern des Hauses: »Vom 16. Jahrhundert bis zur Säkularisation wurde das Amt des Oberhofgärtners in der Familie Dechant vererbt. Nach 1803 wurde der Garten geteilt, den südlichen Bereich erwarb 1836 Adalbert Rothammer, der dort eine Samenzucht einrichtete und seinen Sämereigroßhandel betrieb. Er riss 1838 das alte Hofgärtnershaus bis auf die Keller und den Gartenflügel ab und ließ sich durch Joseph III. Dennefeld das jetzige ›Haus am Nonnengraben‹ im italienischen Landhausstil errichten. Es ist bis heute im Besitz der Familie Rothammer. Zum Grundstück gehört als Rest des fürstbischöflichen Geyerswörth-Gartens ein großer, heute verwilderter Garten, der sich hinter der alten Mauer entlang des Nonnengrabens erstreckt.« Dann folgte die Beschreibung des Hauses mit seinen Risaliten und Ecklisenen. Einige der Bauhandwerker wurden genannt, leider nicht der Schmied des kunstvollen Türgitters.
    Als Hanna die Beschreibung des Inneren las, wurden ihre Hände kalt. Über diese »großzügig geschwungene Treppe« war sie hinaufgegangen, durch den »ehemaligen Salon mit den gründerzeitlichen Rosengirlanden« in die Küche, alles verseucht vom Gestank des Todes und in ihrer Erinnerung untrennbar damit verbunden. Die verwahrloste Schönheit des Hauses, wie Spinnwebfäden auf der Haut, machte Hanna noch trauriger als die einsame Tote am Küchentisch. Sie schrieb die wichtigsten Fakten für ihren Artikel ab. Ihr Magen knurrte.
    Für den Rückweg wählte sie die Treppe am Katzenberg, zwängte sich durch den Touristenpulk vor der Brauerei Schlenkerla – sie liebte die Wirtschaft und ihr Rauchbier trotz deren sagenhafter Bekanntheit und den daraus folgenden Heimsuchungen – und schlich sich weisungsgemäß leise in Tante Kunigundes Küche. Tante Kunigunde hatte Schinkennudeln mit Tomatensoße gemacht. Hanna stibitzte sich sofort einen Löffel Soße und bekam von Tante Kunigunde eins auf die Finger.
    »Schau dir mal Tanjas neue Bleibe an«, sagte sie zufrieden.
    Wie war diese Frau tüchtig! Sie hatte eines der kleinen Zimmer im oberen Stock für Tanja hergerichtet. Sonne fiel durch gerüschte Spitzenvorhänge auf einen glänzenden knubbeligen Fichtenboden, alle Kleider hingen im Schrank, die Kommode war mit zwei Wolldecken und einem Leintuch zum Wickeltisch befördert worden. Will schlief satt und zufrieden in seinem Kinderwagen, und Tanjas Haare waren frisch gewaschen. Sie sah schon nicht mehr so hohläugig aus wie am Morgen, war aber nach ihrem sprudelnden Herzenserguss auf der Gartenbank ziemlich schweigsam. Gemeinsam gingen sie hinunter zum Essen.
    Nach ein paar Gabeln Schinkennudeln und den ersten Schlucken von dem sauberen herben Weißwein aus Zeil, den Tante Kunigunde bevorzugte, lehnte sich Hanna auf ihrem Stuhl zurück und fragte: »Tante Kunigunde, hast du eigentlich die Tote, die Frau Rothammer, gekannt?«
    »Du sollst nicht kippeln, Kind, setz dich gerade hin.« Tante Kunigunde sagte es nebenbei, sah Hanna gar nicht an. »Und ob ich die gekannt habe, das Luder. Das hat sie nun davon!« Die Falten um ihren Mund verschärften sich auf für sie ungewöhnliche Art.
    »Es ist schon

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