Das Haus am Nonnengraben
Frau, der man schwer widerstehen konnte.« Er sah sein Gegenüber mit jenem Blick von Mann zu Mann an, der Benno ganz besonders zuwider war. »Sie war nach dem Tod ihres Mannes, sagen wir mal, für Trost ziemlich aufgeschlossen.«
Wieder blinzelte er.
»Und deshalb haben Sie ihr unkontrolliert Geld aus der Stiftung gegeben?«
»Was heißt hier unkontrolliert?«, fragte Bolz. »Wir haben natürlich weiterhin die Rechnungen überprüft. Aber es wurde immer komplizierter mit Elfi. Sie hat überall herumerzählt, wir würden sie betrügen. Dabei hat sie uns übers Ohr gehauen, wo sie nur konnte. Das Haus verlotterte jedenfalls immer mehr. Nein, wir haben das mit den Reparaturen dann eingestellt. Wir wollten das Geld dem zweiten Stiftungszweck zukommen lassen, den bedürftigen jungen Künstlern.«
»Aha, bedürftigen jungen Künstlern. Und wie haben Sie die rekrutiert?«, fragte Benno scharf.
Die Nachsicht, die der Herr Stadtdirektor bis dahin zur Schau getragen hatte, begann merklich zu bröckeln. »Sagen Sie, was soll diese Fragerei eigentlich? Was hat denn all das mit dem Mord an Elfi zu tun?«
»Im Fall eines gewaltsamen Todes müssen wir eben allen möglichen Spuren nachgehen, Herr Bolz. Vielleicht hat ja einer der geförderten jungen Künstler gemeint, er könnte die Förderung noch etwas ausdehnen?«
»Ach Unsinn, das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Also, wie haben Sie die Künstler ausgewählt, denen die Förderung zugutekommen sollte?«
»Wie das in solchen Fällen eben üblich ist. Eine Jury hat pro Jahr einen geeigneten vielversprechenden Kandidaten ausgesucht, dem dann der entsprechende Scheck überreicht wurde. Es ist ein erhebendes Gefühl zu sehen, wie sich die armen Kerle gefreut haben. Dass sich jemand freiwillig ein solches Dasein zumutet!«
»Kann ich bitte eine Liste der Jurymitglieder und der bedachten Kandidaten haben?«
Bolzens nicht vorhandenes Kinn rutschte in den Hemdkragen.
»Das können Sie alles aus den Unterlagen ersehen. Ich habe sie für Sie aus dem Archiv holen lassen.«
»Danke«, sagte Benno kühl. »Eine letzte Frage hätte ich noch, Herr Stadtdirektor. Die Akte der Arthur-Rothammer-Stiftung ist im Stiftungsreferat der Stadt nicht auffindbar. Können Sie mir etwas über den Verbleib sagen?« Benno wusste schon, während er fragte, was kommen würde.
»Wie sollte ich? Ich bin seit zwölf Jahren nicht mehr dort tätig. Was weiß ich denn über deren Schlampereien!«, antwortete Bolz schneidend. Er stand auf. »Und nun entschuldigen Sie mich bitte. Ein Stadtdirektor hat so das eine oder andere zu tun.«
»Auch ein Staatsanwalt kann nicht den ganzen Vormittag nur angenehm verplaudern«, sagte Benno. Einige Sekunden standen sich die beiden Männer wie Kater mit gesträubten Nackenhaaren gegenüber. »Vielen Dank für das Gespräch.« Bevor Bolz die Hand ausstrecken konnte, nickte Benno kurz und ging zur Tür.
Frau Morgenthaler blickte ihm entgegen. Er brauchte gar nicht zu fragen. Sie holte von einem Aktenwagen zwei gut gefüllte Leitzordner und hielt sie Benno hin. »Die hat der Herr Stadtdirektor persönlich für Sie herausgesucht«, sagte sie strahlend, als könnte sie ihm damit eine besondere Freude machen. Was ja auch der Fall war, wenn auch aus anderen Gründen, als sie sich vorstellen konnte: Der Herr Stadtdirektor hatte sich also entgegen seiner Aussage persönlich um die Akten gekümmert. Die ganze Nacht?
»Möchten Sie sie gleich mitnehmen, oder soll ich sie Ihnen per Boten zuschicken?«
Benno wollte sie gern gleich mitnehmen, und Frau Morgenthaler machte eine große Plastiktüte für ihn frei, indem sie ihre eigenen Einkäufe daraus ausräumte. Sie lächelte noch, als er unter der Tür zu ihr zurückschaute, und das Lächeln blieb, bis der Summer auf ihrem Schreibtisch es vertrieb.
Als Benno die Treppe hinunterkam, war der Rathauspförtner gerade dabei, einen Betrunkenen vor die Tür zu setzen. Benno schaute ihm zu, nickte und sagte: »Ich bin Staatsanwalt Berg. Wie lange bewachen Sie das Rathaus denn so aufmerksam?«
Der Pförtner nahm Haltung an und rückte seine Mütze gerade.
»Seit sechsundzwanzig Jahren, Herr Staatsanwalt«, sagte er zackig.
»Respekt! Und wie lang am Tag? Ich meine, von wann bis wann ist hier die Pforte denn besetzt?«
»Von sieben Uhr früh bis abends um sechs. Wir sind zu zweit und teilen uns die Zeit ein.«
»Und wenn Sie abends weggehen, ist das Rathaus dann unbewacht?«
»Schon, aber dann ist ja zugesperrt.«
»Aber die
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