Das Haus am Nonnengraben
schlecht. Er erinnert mich an einen ganz ungewöhnlichen Rotwein, den ich vor Kurzem getrunken habe, einen fränkischen. Wussten Sie, dass man auch in Franken hervorragenden Rotwein macht? Ich war neulich in Bamberg. Das ist so eine schöne alte Stadt. Kennen Sie Bamberg?«
Joschis spöttischer Blick glitt über ihren Körper. »Also, noch ein bisschen Smalltalk«, murmelte er und setzte sich neben sie.
Um den Abstand zu ihm wieder etwas zu vergrößern, beugte Hanna sich vor und nahm eine Streichholzschachtel, die neben dem Leuchter auf dem Tisch lag. Sie spielte damit, stellte sie senkrecht und stupste sie an, sodass sie mit leisem Klappern umfiel. »Spielkasino Bad Wiessee« stand darauf, in goldenen, geprägten Lettern.
»Nein, ich war noch nie in Bamberg«, sagte Joschi dezidiert. Er schüttelte unwillig den Kopf, nahm ihr mit einer katzengleichen Bewegung die Streichholzschachtel weg, steckte sie in die Tasche und sagte verkniffen: »Ich kann das nicht verstehen, dieses ganze ach so romantische Getue. Mir ist das alles zu eng. In solchen Gassen krieg ich Atembeschwerden. Mir ist schon München zu eng. Am liebsten würde ich alles hier hinschmeißen und wegfahren, hinaus aufs Meer oder nach Amerika, über endlose Straßen, mit einem starken schönen Auto – ja, das wär mein Ding, das wäre wirkliche Freiheit.«
»Und warum tun Sie es dann nicht?«
»Ach, das liebe Geld«, knurrte Joschi ärgerlich, »es reicht einfach nicht!«
Erstaunt sah sich Hanna um. »Aber dieses Haus, in dieser Lage, in München! Wenn man –«
»Das kann ich nicht verkaufen«, unterbrach er sie. »Karla, diese … diese treue Seele, hat testamentarisch verfügt, dass ich das Haus zwanzig Jahre lang nicht verkaufen darf.« Seine Stimme klang höhnisch. »Damit ich meine Wurzeln nicht verliere!«
»Ach so. Und die Praxis?«
»Wer übernimmt denn heute noch eine nicht voll bezahlte Zahnarztpraxis! Da haben Sie die wirklichen Auswirkungen Ihrer Scheißgesundheitsreform! Von wegen Freizeitgestaltung. Freiheitsberaubung ist das. Ich bin wie ein Sklave gefesselt an all das hier, diesen goldenen Käfig, den ich nicht loswerden kann.«
Hanna fühlte sich schrecklich unwohl bei diesem Ausbruch. Er würde ihr nicht verzeihen, dass sie den Riss in seiner glänzenden Yuppie-Fassade gesehen hatte. Was konnte sie nur sagen, um seine Worte abzuschwächen? Sie starrte auf ihre Hände. Da packte er sie und küsste sie hart auf den Mund. Überrumpelt hielt Hanna still. Joschis eine Hand hielt ihren Kopf, und die andere fing an zu wandern.
Nein! Hanna bog mit beiden Händen Joschis Kopf zurück. Er sah sie mit verengten Augen an. »Jetzt reicht’s. Sag ja nicht, dass du nicht willst«, stand in diesem Blick.
Also flüsterte sie ihm ins Ohr: »Ich bin gleich wieder da.«
Sie ging in den Windfang, machte laut die Tür zur Gästetoilette auf und wieder zu, fischte sich ihr Tuch von der Garderobe und zog ihre Schuhe aus, damit sie nicht klapperten. Die Haustür ließ sie einen Spalt offen, und dann rannte sie zu ihrem Auto. Als sie die Autotür hinter sich zuschlug, fühlte sie sich, als wäre sie einer Falle entronnen.
14
Am Mittwochmorgen betrat Benno um fünf Minuten vor neun Uhr das Büro von Karl Bolz. Er kam bewusst zu früh, und er hatte sich den Namen der Sekretärin gemerkt, denn er wollte die Gelegenheit nutzen, sich noch etwas mit ihr zu unterhalten. Sekretärinnen wussten meist mehr als ihre Chefs, vor allem aber wussten sie mehr als die meisten über ihre Chefs.
»Guten Morgen, Frau Morgenthaler.« Er reichte ihr lächelnd die Hand. »Welch passender Name!«
Verwirrt schaute die junge Frau ihn an. »Wieso?«
»Sie sehen doch aus wie der junge Morgen. Fällt denn nicht jedem bei Ihrem Anblick der Spruch ›Morgenstund hat Taler im Mund‹ ein?«, fragte Benno, etwas geniert ob seiner plumpen Schmeichelei.
Frau Morgenthaler schluckte sie aber ohne jede Schwierigkeit und sagte errötend: »Wollen Sie sich noch ein wenig setzen, Herr Staatsanwalt? Der Herr Stadtdirektor muss jeden Moment da sein.«
»Ja, ich weiß, ich bin etwas zu früh dran, schlechte Angewohnheit von mir. Sagen Sie, sind Sie neu hier? Als ich das letzte Mal hier war …«
»Ja«, unterbrach ihn Frau Morgenthaler eifrig. »Das war Frau Grüner. Ich bin die Schwangerschaftsvertretung. Frau Grüner wird in den nächsten Wochen ein Baby bekommen.«
»Herzlichen Glückwunsch. Obwohl ich darüber fast verwundert bin, denn sie war sozusagen eine sehr zugeknöpfte
Weitere Kostenlose Bücher