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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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dankbar, wenn Sie mir die Kopien schon morgen früh faxen könnten.« Sie gab Herrn Ernst ihre Visitenkarte. Sie wollte die Sache so schnell wie möglich vorantreiben.
    Als sie aufstand, um sich von Herrn Ernst zu verabschieden, sah sie sich noch einmal in diesem seltsam verzauberten Werkshof um. Da entdeckte sie an dem Fenster, von dem aus die Sekretärin ihr vor Kurzem den Pausenplatz von Herrn Ernst gezeigt hatte, einen Mann, der sie beobachtete. Es war Karl Bolz. Er zog sich sofort zurück, doch sie hatte ihn deutlich gesehen.
    Die reine Vollkommenheit dieser sonnenwarmen Nachmittagsstunde auf ihrem Bretterstapel, auf diesen Brettern, die für eine vergessene Weile die Welt bedeutet hatten, bekam einen Sprung. Plötzlich sah sie die Glasbausteine in der Fachwerkwand, die Gier der großen metallenen Greifmaschinen, die verrosteten Blechdosen hinter den Brennnesseln. Und die Zeit war wieder da. Hanna sah auf ihre Uhr. »Ich muss mich leider allmählich auf den Weg machen.«
    Herr Ernst begleitete sie, hielt ihr die Autotür auf und schloss sie nach letzten Abschiedsworten sorgfältig und mit Nachdruck. Er schaute ihr mit einem glücklichen Lächeln nach, und beim Einbiegen in die Hauptstraße sah sie ihn im Rückspiegel noch immer an derselben Stelle stehen.

20
    Benno kam fünf Minuten zu früh. Diesmal konnte Hanna ihm das verzeihen, denn sie war ausnahmsweise fertig. Unter normalen Umständen stand sie kurz vor einer Verabredung meist noch nackt im Bad und schminkte sich. Doch heute war sie nicht nur komplett angezogen, sie hatte auch ihre Kleiderberge abgetragen, das Bett frisch bezogen, Bad und Küche geputzt, und sogar ihr Schreibtisch sah halbwegs manierlich aus. Die Blumen waren gegossen, der Müll ausgeleert und die Kissen aufgeschüttelt. Hanna fühlte sich heldenmäßig. Und als sie zur Tür ging, um Benno zu öffnen, fand sie sich im Flurspiegel überdies ziemlich hübsch. Sie trug ihren grünen Leinenblazer, eine Hose im selben Farbton und einen hoffentlich händezitternerregend anschmiegsamen weißen Seidenpulli.
    Sie erwartete Benno unter der Haustür. Er gefiel ihr, als er über den Hof auf sie zukam: kein altmodisch gestreifter Pullunder heute, sondern schwarze Jeans, ein weißes T-Shirt und eine weiche Wildlederjacke.
    Benno überreichte ihr eine einzelne lange orangerote Rose. »Ich hoffe, sie gefällt dir. Ist das Ergebnis längerer Diskussionen mit meiner Blumenfrau.«
    »Wow, wie feudal. Hat eine eigene Blumenfrau«, sagte Hanna lachend. Sie nahm die Rose mit einem leicht übertrieben huldvollen Neigen des Kopfes entgegen und roch daran – sie duftete natürlich nicht, im Gegensatz zu Benno, der etwas zu viel Aftershave erwischt hatte. »Komm rein«, sagte sie, »damit ich die Rose in eine Vase stellen kann.«
    Sie führte ihn in ihren großen Wohnraum mit seinen hohen Bücherwänden, wo ihre schönen ererbten Teppiche in dem Abendlicht, das durch die Fenstertüren hereinfiel, schimmerten. Sie stellte die hohe Vase mit der Rose vor den schmalen Spiegel, der zwischen den Bücherregalen hing. »Willst du einen Aperitif?«, fragte sie.
    »Ich habe einen Tisch in Rockenbachs Garten reserviert«, antwortete Benno. »Wir sollten nicht allzu spät kommen. Du weißt, grad die Tische auf der Galerie sind an so warmen Abenden ziemlich begehrt; Frau Gruse kann ihn nicht ewig freihalten.«
    Sie gingen durch die Fischereigasse, vorbei an den braven kleinbürgerlichen Fassaden der Häuser der Fischer und Schiffer, deren arbeitsame Rückseiten sich so malerisch zu Klein-Venedig reihten, und Hanna erzählte alles Mögliche, nur nichts von Herrn Ernst und seinem Archiv. Das sparte sie sich als Überraschung für später auf.
    Mitten auf der Markusbrücke machte Benno plötzlich einige gut gelaunte Tanzschritte, schaute nach rechts und links und pflückte, als er sich unbeobachtet glaubte, einen Stängel von einer Geranie in den Blumenkästen am Brückengeländer. Er überreichte ihn Hanna mit einer Verbeugung: »Ich danke Euch für die Gunst, mit mir zu speisen, Schönste der Frauen!«
    Hanna deutete einen Knicks an und steckte sich die Blüte hinters Ohr, obwohl das Rosa sich schmerzlich mit dem Farbton ihrer Haare biss.
    Der kleine Tisch im Laubengang über dem Hof des Lokals war mit Weinlaub geschmückt. Kerzen brannten. Das vom Tag aufgeheizte Holz der Wände gab erstaunlich viel Wärme ab. Sobald sie Platz genommen hatten, beugte Hanna sich vor und sagte: »Ich habe ein Geschenk für dich!« Doch in dem

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