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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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nie angekommen ist.
    Bin ich je angekommen? Für Momente vielleicht, in den wenigen glücklichen Stunden, aber irgendwie suche ich Adda noch immer. Doch man kann niemals zurück, das, was man erlebt hat, bleibt. Bleibt für immer in einem.
    Aber vorwärts kann man, das hab ich so lang nicht gewusst. Vorn ist der Weg offen auf der geheimen Straße. Gott im Himmel! Wie habe ich dieses Haus gehasst, weil ich ihn nicht hassen konnte. Der Hass ist nicht geblieben, nur als Asche auf meinem Gesicht.
    Ich dachte, wenn ich nur den Torwächter besteche, käme ich ins Paradies. Doch von Anfang an konnte ich ihn nie ganz greifen hinter jener Mauer, wo Karla thronte, unüberwindbar. Hass ist eine starke Kraft und trägt lange, aber danach ist nichts mehr. Nach der Liebe kommt immerhin der Hass, aber danach bleibt nur noch eine leere Feuerstelle. Sogar Karla ist weg. Sie hat noch so lange hier gewohnt, obwohl aus ihrer Zeit nichts mehr da war, keine Bilder, keine Möbel. Sie wohnte in den Wänden, in den Ecken, es ist einsam ohne sie, ohne ihren Hochmut, an dem ich wuchs. Die Mauern sind so still geworden, jetzt könnte ich weggehen.«
    26. Juli: »Ich bin nicht gegangen. Von Tag zu Tag, von Woche zu Woche habe ich es verschoben. Das Packen sei so mühsam, dachte ich. Dabei liegt mir gar nichts an dem Zeug.
    Karla ist im Mai gestorben. Anton hat es mir geschrieben, er will mich besuchen. Bei mir hat sich ein kleiner Vogel eingenistet, ein verlorenes Kind mit einem Kind. Sie richtet den Garten her. Jahrzehntelang habe ich ihn nicht gesehen. Jetzt sehe ich ihn mit ihren Augen. Schön ist das.«

19
    Als Hanna auf den Parkplatz der Firma Simanc einbog, kollerte die liebevoll verpackte Flasche Eierlikör auf dem Beifahrersitz zur Seite, und die Karte, die mit einem Schleifchen daran befestigt war, zeigte mit der beschrifteten Seite nach oben. »Lieber Herr Ernst«, stand da, »meine Nichte hat eine Frage an Sie. Herzliche Grüße, Ihre Kunigunde Buchner.« Sieben ihrer schönsten Karten hatte Tante Kunigunde für diesen Text verbraucht.
    Hanna wurde von einem vorbeieilenden Angestellten zur Chefsekretärin in den ersten Stock geschickt. Die war offensichtlich im Stress und wies zwischen zwei Telefonaten auf Hannas Frage nach Herrn Ernst nur kurz auf eines der Fenster. »Er macht gerade unten im Hof seine Teepause.« Sie wollte noch etwas hinzufügen, aber da klingelten zwei Telefone gleichzeitig, und sie nickte Hanna nur kurz zu und begann eifrig zu notieren.
    Hanna blickte aus dem Fenster. Der Werkshof lag in der weichen Nachmittagssonne, ein großer, lichtdurchfluteter Raum. Und mittendrin saß auf einem Holzstapel der kleine Herr Ernst. Er hatte ein weißes Tuch auf den Brettern vor sich ausgebreitet, darauf standen ein Pappteller mit zwei Scheiben Kuchen und eine silbern glänzende Thermoskanne. Soeben wickelte er eine feine weiße Porzellantasse aus einer Serviette. Dieses Stillleben mitten zwischen den großen Hallen voller Ziegel, Balken und Arbeitsmaschinen verblüffte Hanna so, dass sie noch neugieriger auf den kleinen Herrn Ernst wurde, als sie es nach Tante Kunigundes Andeutungen ohnehin schon war. Sie fand den Hof auf Anhieb. Es war erstaunlich still dort, eine dichte, vom Geruch warmen Holzes durchdrungene Stille, die durch ein entferntes Hämmern noch vertieft wurde.
    Der kleine Herr Ernst war genau wie sein Name: klein, ernst und ein Herr. Als Hanna auf ihn zuging, erhob er sich von seinem Holzstapelsitz. »Karl Ernst«, sagte er mit einer knappen Verbeugung. »Mit wem habe ich die Ehre?«
    »Mein Name ist Hanna Tal«, antwortete Hanna wohlerzogen und überzeugt, er hätte ihr in einer anderen Umgebung die Hand geküsst. »Meine Tante, Kunigunde Buchner, lässt Ihnen dies hier übermitteln.« Sie hielt ihm ihr Mitbringsel hin, amüsiert darüber, wie spontan sich seine Umgangsformen auf ihre Sprache übertrugen. »Und sie lässt schöne Grüße bestellen.«
    Einen Augenblick lang sah Herr Ernst sie fassungslos an. Er nahm die Flasche, die er so vorsichtig hielt wie ein kleines Kind, und schloss kurz die Augen. Dann begann langsam die Freude in ihm aufzusteigen. Sein ganzer kleiner, hagerer Körper strahlte vor Freude. Doch die Höflichkeit half ihm, die Haltung zu bewahren. Er wies einladend auf den Holzstapel und sagte: »Es freut mich, Sie kennenzulernen, Frau Dr. Tal. Ich habe Ihren Artikel über das Haus am Nonnengraben gelesen. Er hat mir sehr gut gefallen. Darf ich Sie zu einem Tässchen Tee einladen? Ich kann

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