Das Haus am Nonnengraben
der Firma an und beschwerte sich aufs Heftigste, wieso wir nicht auf der Bildfläche erschienen waren und dass es kein Wunder wäre, wenn es dem Betrieb so schlecht ginge, bei so nachlässigen Mitarbeitern. Und es ging dem Betrieb tatsächlich nicht gut, aber nicht der Mitarbeiter halber, sondern wegen des Chefs.«
»Wieso, was tat der denn?«
»Er tat eben nichts. Dafür nahm er viel zu viel Geld aus der Firma und investierte zu wenig. Nur der alte gute Name des Betriebs und ein eingespieltes Team haben uns über die Jahre gerettet.«
»Und wie ging die Geschichte mit Elfi Rothammer weiter?«, wollte Hanna wissen.
»Wir konnten den Auftrag nicht zu Ende führen, obwohl wir seiner, wie gesagt, in unserer damaligen finanziellen Lage dringend bedurft hätten. Aber die Arbeiter weigerten sich, das Haus nochmals zu betreten. Und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das auch der Zweck der Übung war. Irgendetwas stimmte nicht mit der Abrechnung. Ich habe das nie ganz durchschaut, denn dies war einer der Fälle, in denen sich der Chef persönlich um die geschäftliche Seite des Auftrags kümmerte. Aber ich habe einmal einen Beleg gesehen, der um ein Vielfaches höher war als das, was wir tatsächlich geleistet hatten.« Nach kurzem Zögern fügte Herr Ernst hinzu: »Ich würde das nicht so sagen, wenn der junge Chef nicht ganz anders wäre.«
Das war ja interessant. Ein solcher Beleg würde Benno aus seiner Beweisnot helfen. »Gibt es möglicherweise noch schriftliche Unterlagen aus der Zeit?«, fragte Hanna. Das war inzwischen fünfzehn Jahre her, also hatte sie eigentlich wenig Hoffnung.
Aber Herr Ernst sagte ganz ruhig: »Natürlich gibt es die. Das Firmenarchiv ist seit 1950 vollständig vorhanden, zum Teil gehen die Bücher zurück bis zur Gründung des Betriebs im Jahre 1908. Ich weiß das, denn ich habe das Archiv selbst geordnet und aufgestellt.« Herr Ernst war sichtlich stolz darauf.
Hanna hätte ihn am liebsten umarmt. Hier war sie endlich, die handfeste Spur. Wenn man die in den Geschäftsbüchern für die Steuerabrechnung eingetragene Auftragssumme verglich mit der Rechnung, die die Arthur-Rothammer-Stiftung angeblich bezahlt und der Regierung zur Kontrolle vorgelegt hatte … Hanna war vor Freude ganz aufgeregt. »Könnten wir uns die Unterlagen zu dem Rothammer-Auftrag anschauen, am besten jetzt gleich?«
»Tut mir leid, Frau Dr. Tal«, sagte Herr Ernst bedauernd. »Das Archiv ist dort hinten in dem alten Lagerhaus untergebracht.« Er deutete auf ein Holzgebäude am Ende des Hofes. Es war sicher der älteste Teil des ganzen Firmenkomplexes, wohl noch aus der Zeit der Betriebsgründung. Neogotischer Zierrat hing vom Giebel herunter, und rot-weiße Fensterläden gaben dem kleinen Haus ein freundliches Aussehen.
»Normalerweise trage ich den Schlüssel immer bei mir. Aber heute Mittag musste unser Fahrer dringend etwas aus einem Lager außerhalb von Bamberg holen, und ich konnte den Schlüssel zu jenem Lager partout nicht von meinem Schlüsselring lösen. Er hatte sich wohl verklemmt. Da der Fahrer ein absolut zuverlässiger Mann ist, habe ich ihm in der Eile meinen ganzen Schlüsselbund gegeben. Folglich habe ich ihn nicht bei mir.«
»Gibt es denn keinen zweiten Schlüssel zum Archiv?« Hanna hätte Benno so gerne einen greifbaren Beweis überreicht.
»Doch, den zweiten Schlüssel hat der junge Chef, aber der ist wegen einer Geschäftsreise bis nächsten Montag unterwegs.«
Herr Ernst war untröstlich, ihr nicht behilflich sein zu können.
»Morgen früh werde ich als Erstes ins Archiv gehen. Ich mache Ihnen unverzüglich Kopien der entsprechenden Stellen. Diese bringe ich Ihnen dann morgen Nachmittag mit. Ich würde nämlich gerne morgen gegen fünf Uhr Ihrer Frau Tante meine Aufwartung machen, um mich persönlich für ihr Geschenk zu bedanken. Könnten Sie ihr bitte einen kleinen Brief von mir geben und mich nötigenfalls über eine Änderung zu informieren?« Er sah sie an. »Bitte.«
»Warum rufen Sie sie nicht einfach an?«
»Ach nein, das möchte ich nicht tun. Nach so langer Zeit würde ich lieber persönlich … in angemessener Weise … Verstehen Sie?« Er holte aus der Innentasche seines Arbeitsanzugs einen Block, schrieb rasch einige Zeilen und übergab Hanna das Blatt mit einer knappen Verbeugung.
Hanna lächelte ihn herzlich an. Sie musste sich beherrschen, ihm nicht die Hand zu streicheln. »Ich bin sicher, dass meine Tante Zeit für Sie hat. Aber ich wäre Ihnen
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