Das Haus am Nonnengraben
Moment wogte Frau Gruse, die Wirtin, herbei, die wie eine Empfehlung für ihr Essen aussah, und begrüßte Benno, den sie gut zu kennen schien. Hanna wurde vorgestellt, gnädig mit einem Lächeln bedacht, und dann begann Benno mit der gestrengen Matrone eine Diskussion über die zu wählende Speisenfolge.
Die Spezies der Kürbisse für die Suppe – natürlich kamen nur Hokaidos in Frage – musste ebenso gründlich erörtert werden wie der Lieferant der geräucherten Saiblinge und dass zu dem ganz zarten Jungschwein-Braten Kartoffeln der Sorte Bamberger Hörnla besser passten als die üblichen Klöße. Hanna war drauf und dran, die Wirtin zu fragen, ob sie auch den Namen des Jungschweins persönlich kenne, unterließ es angesichts von Bennos Begeisterung jedoch. Er schien die Diskussion zu genießen und orderte mit Hannas Einverständnis für beide dieselbe Menüfolge.
Hanna sah der Szene mit wachsender Ungeduld zu. Sie wollte Benno jetzt endlich ihre Entdeckung präsentieren. Aber zunächst stand noch die Wahl der Getränke an. Zum Auftakt und zur Suppe natürlich Bier. Zum Fisch würde ein Weißwein passen, aber zum Schweinebraten?
»So, wie ich na mach, passt a Weißer aa dazu«, versicherte Frau Gruse, aber Hanna und Benno entschieden sich doch dafür, beim Bier zu bleiben. »Welches Bier haben Sie denn?«, fragte Hanna.
»Mir ham a Schlenkerla, a Spezial, a Klosterbräu …«
»Habter a Mahrs aa?«, fragte Hanna, die im Bedarfsfall ganz gut Bambergerisch sprach.
»Hammer. Wollns a U?«
Hanna schüttelte den Kopf. Sie mochte den eigenwilligen Geschmack des U, des ungespundeten Biers, nicht besonders. »Lieber a Lager«, entschied sie.
Nachdem die Wirtin davongeeilt war, konnte sie endlich ihr »Geschenk« loswerden. »Stell dir vor …« Und dann erzählte sie von der Teezeremonie im Fabrikhof und von Herrn Ernsts Beobachtungen im Haus am Nonnengraben und dass es dazu noch Unterlagen gab, überhöhte Rechnungen, die vielleicht beweisen konnten, wie der Betrug mit der Arthur-Rothammer-Stiftung gelaufen war, und die ihnen am nächsten Morgen zur Verfügung stünden. »Na, was sagst du?«
Benno hatte ihr aufmerksam zugehört. »Hm«, machte er nachdenklich und nickte. »Das passt. Es war also tatsächlich Elfi Rothammer, die das Haus so verkommen ließ. Ich dachte bisher, Bolz und Böschen hätten das nur behauptet, weil man einer Toten leicht etwas in die Schuhe schieben kann, in Wirklichkeit aber hätten sie die alte Frau betrogen und das Geld der Stiftung in die eigene Tasche gesteckt. Aber nach dem, was du erzählt hast, war es wirklich Frau Rothammer, die die Handwerker bewusst und aktiv vergrault hat.«
Frau Gruse kam an den Tisch und stellte zwei kleine Teller »mit am Amüsgöllala«, wie sie es mit stolzem Lächeln bezeichnete, vor sie hin. Hanna und Benno rätselten eine Weile herum, bis sie dahinterkamen, dass es sich dabei um ein kleines »Amuse-Gueule« handelte, geröstete Weißbrotscheibchen mit Leberterrine. Sie lachten Tränen.
»Ich glaube, das Amüsgöllala muss ich in meinen Wortschatz aufnehmen«, sagte Benno und wischte sich die Augen.
Hanna nahm den Faden des Gesprächs über Frau Rothammer wieder auf. »Ich finde das irgendwie unstimmig. Wieso hat sie wohl Handwerker bestellt, wenn sie sie dann verscheuchte?«
»Wahrscheinlich hat nicht sie die Handwerker bestellt, sondern Bolz oder Böschen, und sie wollte das nicht. Sie hat nämlich das Haus am Nonnengraben gehasst. Ich habe heute Nachmittag so eine Art Tagebuch von Elfi Rothammer gefunden, in dem sie genau das beschreibt.«
»Sie hat das Haus gehasst und ist trotzdem ihr Leben lang da wohnen geblieben?«
»Es scheint so eine Art subtile Rache an ihrem Mann gewesen zu sein, dass sie es systematisch zugrunde gehen ließ. Für ihn war es nämlich so etwas wie das Symbol seiner Liebe zu einer gewissen Karla.«
»Karla? Karla war Arthur Rothammers Schwester. Sie ist vor ein paar Monaten gestorben. Kürtchen, also Anneliese Kurt, hat mir doch die Briefe gegeben, die Karla ihr geschrieben hat. So eine unglückliche Geschichte! Karla und Arthur waren einander verfallen, wollten diese inzestuöse Geschwisterliebe aber lange Zeit nicht wahrhaben. Es gab sogar irgendwelche Heiratspläne der beiden mit jeweils anderen Partnern, wenn ich mich recht erinnere. Das war noch bevor Elfi aufgetaucht ist und sich Arthur geangelt hat.«
»Geangelt? Mir gefällt das Wort in diesem Zusammenhang nicht«, unterbrach Benno sie. »Elfi Rothammer
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