Das Haus Am Potomac
setzte, ohne eine Spur von
Nervosität, behutsam eine Lesebrille mit blauem Gestell
auf. Ihr Haar war zu einem schlichten Knoten
zurückgebunden, was die eleganten Linien ihres Profils
und Nackens unterstrich.
»Eines der bekanntesten Zitate aus der Bibel«, begann
sie, »lautet ›Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s
genommen, der Name des Herrn sei gelobt.‹ In letzter Zeit
hat unsere Regierung in übertriebener Weise und schlecht
durchdacht gegeben und gegeben. Und dann hat sie wieder
genommen und genommen. Aber Namen, die es zu loben
gilt, gibt es nur wenige.
Jeder verantwortliche Bürger würde, da bin ich ganz
sicher, zustimmen, daß es nötig war, die Programme, die
Anspruch auf Unterstützung gewähren, zu überholen.
Doch jetzt ist es an der Zeit, daß wir überprüfen, was wir
gemacht haben. Ich behaupte, daß die Maßnahmen zu
radikal, die Kürzungen zu drastisch waren. Ich behaupte,
daß es Zeit ist, viele notwendige Programme zu erneuern.
Anspruch haben heißt ›etwas mit Recht verlangen
können‹, zweifellos wird niemand in dieser erlauchten
Kammer abstreiten, daß jedermann in diesem Lande ein
Anrecht auf Obdach und Nahrung hat …«
Abigail war eine großartige Rednerin. Ihre Ansprache
war sorgfältig vorbereitet, gründlich untermauert und mit
genug Anekdoten durchsetzt, um die Aufmerksamkeit
ihrer Amtskollegen aufrechtzuerhalten.
Sie sprach eine Stunde und zehn Minuten. Der Applaus
war groß und ehrlich. Als der Senat sich zurückzog, sah
Pat, wie der Führer der Senatsmehrheit zu ihr hinübereilte,
um ihr zu gratulieren.
Pat wartete zusammen mit Philip, bis sich die Senatorin
endlich von ihren Kollegen und den Besuchern, die sie
umdrängten, löste. Gemeinsam machten sie sich auf den
Rückweg zum Büro.
»Es war gut, nicht wahr?« sagte Abigail, doch ohne den
geringsten Anflug von Zweifel in ihrer Stimme.
»Hervorragend, Senatorin«, bestätigte Philip prompt.
»Pat?« Abigail blickte sie an.
»Es hat mich ganz krank gemacht, daß wir es nicht
aufzeichnen konnten«, sagte Pat wahrheitsgemäß. »Ich
hätte gerne Auszüge aus dieser Rede mit in die Sendung
aufgenommen.« Sie nahmen im Büro der Senatorin einen
Imbiß zu sich. Abigail bestellte sich nur ein hart gekochtes
Ei und schwarzen Kaffee. Sie wurde viermal durch
dringende Telefonanrufe gestört. Einer kam von einer
alten freiwilligen Wahlkampfhelferin. »Natürlich,
Maggie«, sagte Abigail. »Nein, du störst mich nicht. Ich
bin jederzeit für dich da – das weißt du. Was kann ich für
dich tun?«
Pat sah, wie sich Abigails Gesicht verfinsterte und wie
sie die Stirn runzelte. »Soll das heißen, man hat dir im
Krankenhaus gesagt, du sollst deine Mutter abholen
kommen, obwohl die Frau nicht mal den Kopf vom Kissen
heben kann? … Ich verstehe. Hast du an irgendwelche
bestimmten Pflegeheime gedacht? … Sechs Monate
Wartezeit. Und was sollst du in diesen sechs Monaten
machen? … Maggie, ich rufe dich wieder an.«
Sie knallte den Hörer auf die Gabel. »Das ist so etwas,
das mich wild macht. Maggie versucht aus eigener Kraft
drei Kinder großzuziehen. Samstags macht sie einen
zweiten Job nebenher, und jetzt verlangt man von ihr, sie
solle ihre senile, bettlägerige Mutter zu sich nach Hause
holen. Philip, spüren Sie Arnold Pritchard auf. Und es ist
mir gleichgültig, ob er mit jemandem für zwei Stunden zu
Mittag ißt. Stöbern Sie ihn auf, sofort.«
Fünfzehn Minuten später wurde der Anruf durchgestellt,
auf den Abigail wartete. »Arnold, gut, mit dir zu reden …
Freut mich, daß es dir gut geht … Nein, mir geht es nicht
gut. Um ehrlich zu sein, ich bin ziemlich aufgebracht …«
Fünf Minuten später beendete Abigail das Gespräch mit
den Worten: »Ja, da stimme ich dir zu. ›The Willows‹
scheint genau der richtige Ort zu sein. Das ist nah genug,
daß Maggie sie besuchen kann, ohne daß sie den ganzen
Sonntag für die Fahrt opfern muß. Und ich weiß, daß ich
mich auf dich verlassen kann, Arnold, daß du dafür sorgst,
daß die alte Dame aufgenommen wird – Ja, laß sie heute
nachmittag mit einem Krankenwagen in der Klinik
abholen. Maggie wird ganz erleichtert sein.«
Abigail zwinkerte Pat zu, während sie auflegte. »Das ist
ein Aspekt meiner Arbeit, der mir gefällt«, sagte sie. »Ich
sollte mich nicht damit aufhalten, Maggie selbst
anzurufen, aber ich werde es dennoch tun.« Sie wählte
schnell.
»Maggie, hallo, wir sind gut in Form …«
Maggie,
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