Das Haus Am Potomac
um
Beurlaubung zu bitten. Auf diese Weise sollen Vorfälle
dieser Art vermieden werden. Wenn ein Mitarbeiter
meines Stabes einen Fehler macht, fällt das auf mich
zurück. Ich habe zu viele Jahre zu hart gearbeitet, um mich
durch die Dummheit eines anderen bloßstellen zu lassen.
Und, Pat, glauben Sie mir: Wenn es Ihnen einmal
geschieht, passiert es Ihnen auch wieder. Und jetzt, um
Himmels willen, erwartet man mich zu einer Aufnahme
mit einer Gruppe Pfadfinderinnen auf der Treppe vor dem
Haupteingang!«
10
Um Viertel vor fünf klopfte eine Sekretärin schüchtern an
die Tür von Abigails Büro. »Ein Anruf für Miss
Traymore«, flüsterte sie.
Es war Sam. Seine Stimme klang so beruhigend und
herzlich, daß sich Pats Stimmung sofort besserte. Der
unerfreuliche Zwischenfall und das zutiefst verzweifelte
Gesicht der jungen Frau hatten sie mitgenommen.
»Hallo, Sam.« Sie spürte Abigails scharfen Blick.
»Meine Spitzel haben mir mitgeteilt, daß du auf dem
Hill bist. Hast du Lust, mit mir essen zu gehen?«
»Essen gehen … Ich kann nicht, Sam. Ich muß heute
abend arbeiten.«
»Du mußt auch essen. Was hast du heute mittag zu dir
genommen? Eines von Abigails hart gekochten Eiern?«
Sie gab sich Mühe, nicht zu lachen. Die Senatorin hörte
eindeutig zu, was sie an diesem Ende der Leitung sagte.
»Wenn es dir nichts ausmacht, früh und auf die Schnelle
zu essen«, schlug sie als Kompromiß vor.
»Ist mir recht. Paßt es dir, wenn ich dich in einer halben
Stunde vor dem Russell Building abhole?«
Als Pat auflegte, blickte sie zu Abigail hinüber.
»Haben Sie schon das ganze Material gesichtet, das wir
Ihnen gegeben haben? – Sich schon die Filme
angesehen?« fragte Abigail.
»Nein.«
»Einige davon?«
»Nein«, gab Pat zu. O Herr, dachte sie. Gut, daß ich
nicht für Sie arbeite, Lady.
»Ich hatte gedacht, Sie würden vielleicht zu mir zum
Abendessen kommen und wir könnten darüber reden,
welche Filme Sie gerne verwenden würden.«
Wieder eine Pause, Pat wartete ab.
»Da Sie das Material jedoch noch nicht gesichtet haben,
denke ich, es ist besser, ich nutze den Abend dazu, etwas
zu lesen, womit ich mich befassen muß.« Abigail lächelte.
»Sam Kingsley ist einer der begehrtesten Junggesellen in
Washington. Ich wußte gar nicht, daß Sie ihn so gut
kennen.«
Pat versuchte, leichthin zu antworten. »Tue ich im
Grunde auch gar nicht.« Aber sie konnte nicht umhin zu
denken, daß es Sam schwerfiel, sich von ihr fernzuhalten.
Sie blickte aus dem Fenster in der Hoffnung, so ihren
Gesichtsausdruck verbergen zu können. Draußen war es
fast schon dunkel. Aus den Fenstern der Senatorin hatte
man einen Blick aufs Capitol. In dem abnehmenden
Tageslicht sah das von blauen Seidenvorhängen
eingerahmte schimmernde Kuppelgebäude fast wie gemalt
aus.
»Wie schön!« rief sie aus.
Abigail wandte ihren Kopf zum Fenster hin. »Ja, das ist
es«, stimmte sie zu. »Dieser Anblick um diese Tageszeit
macht mir immer wieder klar, wozu ich da bin. Sie können
sich nicht vorstellen, wie befriedigend es für mich ist, zu
wissen, daß aufgrund dessen, was ich heute gemacht habe,
eine alte Frau in einem anständigen Pflegeheim ordentlich
versorgt wird und Menschen, die ein kümmerliches Dasein
fristen, vielleicht zusätzlich Geld bekommen.«
Abigail Jennings strahlt eine fast sinnliche Energie aus,
wenn sie über ihre Arbeit spricht, dachte Pat. Es ist ihr
Ernst mit dem, was sie sagt.
Aber sie dachte auch, daß die Senatorin schon das
Mädchen aus ihrem Gedächtnis verdrängt hatte, das sie
erst vor wenigen Stunden entlassen hatte.
Pat fröstelte, als sie die Stufen vom Senatsbüro hinunter
zum Wagen eilte. Sam beugte sich zu ihr herüber, um ihr
einen Kuß auf die Wange zu drücken. »Wie geht es
unserer tollen Filmemacherin?«
»Ich bin müde«, antwortete sie. »Mit Senatorin Jennings
Schritt halten zu müssen ist nicht gerade die
Voraussetzung für einen geruhsamen Tag.«
Sam lächelte. »Ich weiß, was du meinst. Ich habe
zusammen mit Abigail eine ganze Reihe von Gesetzen
erarbeitet. Sie wird nie müde.«
Er schlängelte sich durch den Verkehr und bog in die
Pennsylvania Avenue ein. »Ich dachte, wir gehen zu Chez
Grandmère in Georgetown«, sagte er. »Da ist es ruhig, das
Essen ist hervorragend, und es ist in deiner Nähe.«
Bei Chez Grandmère war es fast leer. »Um Viertel vor
sechs geht man in Washington nicht essen.« Sam lächelte,
als der Oberkellner ihnen anbot, sie sollten sich selber
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