Das Haus Am Potomac
die
Bilder«, murmelte sie. »Kein Wunder, daß ich es mit der
Angst bekam, Pat, sind Sie sicher, daß das klug ist?«
Sie nahmen Platz, und Pat goß Sherry ein. »Ich weiß
nicht, ob es klug ist. Ich weiß nur, daß es nötig ist.«
»An wieviel erinnern Sie sich?«
»An Kleinigkeiten. Bruchstücke. Nichts
Zusammenhängendes.«
»Ich habe damals immer wieder im Krankenhaus
angerufen und mich nach Ihnen erkundigt. Sie waren
monatelang besinnungslos. Als man Sie verlegte, gab man
uns zu verstehen, daß Sie für immer einen Schaden
davontragen würden, wenn Sie es überlebten. Und dann
erschien die Todesanzeige.«
»Veronica – die Schwester meiner Mutter – und ihr
Mann haben mich adoptiert. Meine Großmutter wollte
nicht, daß der Skandal mir anhing – oder ihnen.«
»Und darum haben sie auch Ihren Vornamen geändert?«
»Ich wurde Patricia Kerry getauft. Ich schätze, Kerry
war die Idee meines Vaters. Patricia war der Name meiner
Großmutter. Sie kamen zu dem Schluß, wenn sie meinen
Nachnamen änderten, könnten sie auch genauso gut
anfangen, mich bei meinem ersten Namen zu rufen.«
»So wurde aus Kerry Adams Patricia Traymore. Was
hoffen Sie hier zu finden?« Lila nippte an dem Sherry und
setzte das Glas wieder ab.
Pat erhob sich ruhelos und ging zum Flügel hinüber. In
einer Reflexbewegung griff sie nach der Tastatur, dann
zog sie ihre Hände zurück.
Lila beobachtete sie. »Spielen Sie?«
»Nur zum Vergnügen.«
»Ihre Mutter spielte dauernd. Das wissen Sie ja.«
»Ja. Veronica hat mir von ihr erzählt. Wissen Sie, zuerst
wollte ich nur verstehen, was hier geschehen ist. Dann
wurde mir klar, daß ich, solange ich denken kann, meinen
Vater gehaßt habe; gehaßt, weil er mich so verletzt hat,
weil er mich meiner Mutter beraubt hat. Ich glaube, ich
hoffte einen Hinweis zu finden, daß er krank war, daß er
dabei war, durchzudrehen – ich weiß nicht, was. Aber
jetzt, wo mir nach und nach Kleinigkeiten wieder
einfallen, spielt noch mehr dabei eine Rolle. Ich bin nicht
derselbe Mensch, der ich geworden wäre, wenn …«
Sie zeigte dahin, wo man die Leichen gefunden hatte.
»… wenn all dies nicht geschehen wäre. Ich muß das
Kind, das ich mal war, mit der Persönlichkeit verbinden,
die ich geworden bin. Ich habe einen Teil meiner selbst
eingebüßt. Ich habe so viele Vorurteile – meine Mutter
war ein Engel, mein Vater ein Teufel. Veronica hat mir zu
verstehen gegeben, daß mein Vater erst die musikalische
Karriere meiner Mutter zerstört hat und dann ihr Leben.
Aber was war mit ihm? Sie hat einen Politiker geheiratet
und sich dann geweigert, seine Art von Leben zu teilen.
War das fair? Inwieweit war ich ein Katalysator bei den
Schwierigkeit, die sie miteinander hatten? Veronica hat
mir einmal gesagt, daß dies Haus zu klein war. Wenn
meine Mutter übte, wachte ich auf und fing an zu
schreien.«
»Katalysator«, sagte Lila. »Genau das sind Sie, fürchte
ich, Pat. Sie bringen Dinge in Bewegung, die man besser
in Ruhe ließe.« Sie betrachtete sie aufmerksam. »Sie
scheinen sich von Ihren Verletzungen gut erholt zu
haben.«
»Das hat lange gedauert. Als ich endlich wieder zur
Besinnung kam, mußte ich alles neu lernen. Ich verstand
kein Wort. Ich wußte nicht, wie man mit einer Gabel
umgeht. Ich mußte die Beinstütze tragen, bis ich sieben
war.«
Lila bemerkte, daß es ihr sehr warm war. Einen Moment
vorher hatte sie noch gefroren. Sie wollte nicht den
Gründen für diesen Wechsel nachgehen. Sie wußte nur,
daß dieser Raum seine Rolle als Schauplatz einer Tragödie
noch nicht ausgespielt hatte. Sie stand auf. »Wir sollten
den Botschafter lieber nicht warten lassen«, sagte sie
energisch.
Sie erkannte in Pats Gesicht die Wangenknochen und
den gefühlvollen Mund von Renée wieder und die weit
auseinander liegenden Augen und das kastanienbraune
Haar von Dean.
»In Ordnung, Lila, jetzt haben Sie mich lange genug
studiert«, meinte Pat. »Wem von ihnen sehe ich ähnlich?«
»Beiden«, sagte Lila wahrheitsgemäß. »Aber ich glaube,
Sie haben mehr von Ihrem Vater.«
»Nicht in jeder Hinsicht, hoffe ich, o Gott.« Pat bemühte
sich zu lächeln, aber es mißlang ihr kläglich.
19
Gut versteckt im Schatten der Bäume und Sträucher,
beobachtete Arthur Pat und Lila durch die Terrassentür. Er
war bitter enttäuscht gewesen, das Haus hell erleuchtet
und den Wagen in der Einfahrt zu sehen. Vielleicht könnte
er heute abend nicht nach der Puppe suchen.
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