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Das Haus Am Potomac

Das Haus Am Potomac

Titel: Das Haus Am Potomac Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Leichen. Kreidestriche auf dem
Teppich markierten die Lage der Körper.
    Selbst da hatte er das Gefühl gehabt, daß dies ein Haus
der Sünde und des Übels war, ein Ort, an dem zwei
unschuldigen Blumen, einer jungen Frau und ihrem
kleinen Mädchen, vorsätzlich Gewalt angetan worden war.
Er hatte Glory einmal das Haus gezeigt und ihr alles von
jenem Morgen erzählt.
    Die kleine Kerry war zwei Monate lang auf der
Intensivstation im Georgetown Hospital geblieben. Er
hatte so oft bei ihr vorbeigeschaut, wie er konnte. Sie kam
nie zu sich, lag einfach nur da, wie eine schlafende Puppe.
Er war zu dem Schluß gekommen, daß es ihr nicht
bestimmt war, zu überleben, und hatte nach einer
Möglichkeit gesucht, sie zu erlösen. Aber bevor er etwas
unternehmen konnte, wurde sie zur Langzeitbehandlung in
die Nähe von Boston verlegt, und einige Zeit später hatte
er gelesen, daß sie gestorben war.
    Seine Schwester hatte eine Puppe gehabt. »Laß mich dir
helfen, sie zu pflegen«, hatte er sie angefleht. »Wir tun so,
als wäre sie krank und ich pflege sie gesund.« Sein Vater
hatte ihm mit seiner kräftigen, schwieligen Hand eine
heruntergehauen. Blut strömte ihm aus der Nase. »Pfleg
das gesund, du Weichling.«
    Er begann in Patricia Traymores Schlafzimmer mit der
Suche nach der Puppe. Er machte den Schrank auf, sah in
den Fächern nach und auf dem Boden, aber sie war nicht
da. Voll grimmiger Wut besah er sich die vielen teuren
Sachen. Seidenblusen, Negligées, Abendkleider und
solche Kostüme, wie man sie in Modezeitschriften sah.
Glory trug meistens Jeans und Pullover, und sie kaufte sie
bei K-Mart. Die Leute im Pflegeheim trugen meist
Flanellnachthemden und Bademäntel in Übergröße, die
ihre unförmigen Körper verhüllten. Eines von Patricia
Traymores Kleidern erregte seine Aufmerksamkeit. Es
war ein braunes Wollkleid mit einem Strick als Gürtel. Es
erinnerte ihn an eine Mönchskutte. Er nahm es aus dem
Schrank und hielt es sich an. Anschließend durchsuchte er
die großen Schubladen unten in der Frisierkommode. Da
war die Puppe auch nicht. Wenn die Puppe überhaupt
noch im Haus war, befand sie sich nicht in ihrem
Schlafzimmer. Er durfte nicht so herumtrödeln. Er warf
einen Blick in die Schränke der leerstehenden
Schlafzimmer und ging dann nach unten.
    Patricia Traymore hatte das Licht im Flur angelassen,
auch eine Lampe in der Bibliothek und mehrere im
Wohnzimmer – ja sogar die elektrischen Kerzen am
Weihnachtsbaum. Das war sündhafte Verschwendung,
dachte er voll Zorn. Es war unfair, so viel Energie zu
verbrauchen, wenn alte Leute es sich nicht einmal leisten
konnten, ihre Wohnung zu heizen. Und der Baum war
schon trocken. Wenn eine Flamme daran käme, würde er
in Brand geraten, und die Zweige würden knistern, und
der Weihnachtsschmuck würde schmelzen.
    Ein Weihnachtsschmuck war vom Baum
heruntergefallen. Er hob ihn auf und hängte ihn wieder
hin. Im Wohnzimmer gab es wirklich keine
Versteckmöglichkeiten.
    Als letztes sah er in der Bibliothek nach. Die
Aktenschränkchen waren verschlossen – da hatte sie die
Puppe wahrscheinlich hineingetan. Dann bemerkte er den
Karton, der unter den Tisch geschoben und dort
festgeklemmt war. Und auf einmal wußte er. Er mußte fest
ziehen, um den Karton herauszubekommen, aber als er ihn
öffnete, schlug sein Herz vor Freude. Da war Glorys
geliebte Puppe.
    Die Schürze war fort, aber er konnte sich nicht damit
aufhalten, nach ihr zu suchen. Er ging noch einmal durch
alle Räume, suchte sie sorgfältig nach Anzeichen dafür ab,
die verrieten, daß er hier gewesen war. Er hatte kein Licht
ein- oder ausgeschaltet, auch keine Tür berührt. Er besaß
viel Erfahrung durch seine Tätigkeit im Pflegeheim. Wenn
Patricia Traymore nach der Puppe suchte, würde sie
natürlich wissen, daß jemand dagewesen war. Aber dieser
Karton war weit unter den Tisch geschoben. Vielleicht
würde sie den Verlust der Puppe eine ganze Weile nicht
bemerken.
    Er wollte das Haus auf demselben Weg verlassen, auf
dem er hereingekommen war – durch das Fenster im
ersten Stock. Patricia Traymore benutzte dies
Schlafzimmer nicht; wahrscheinlich würde sie tagelang
nicht einmal hineinsehen.
    Er hatte das Haus um Viertel nach fünf betreten. Als er
vom Baum herunterglitt, sich durch den Garten stahl und
in der Dunkelheit verschwand, läuteten die Glocken beim
College sechs.
    Das Haus des Botschafters war prächtig. Die

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