Das Haus Am Potomac
eine
Zeitlang ziemlich dick miteinander befreundet, und ich bin
sicher, daß er seine liebe Freundin gerne auf dem Stuhl
des Vizepräsidenten sehen würde.«
Sie aßen schweigend, während Pat darüber nachdachte,
welche Folgerungen aus dem zu ziehen waren, was Sam
ihr erzählt hatte. Natürlich erklärte sich dadurch das
plötzliche Angebot an sie und auch die Eile, die geboten
war.
»He, hast du mich vergessen?« fragte Sam schließlich.
»Du hast mich gar nicht gefragt, was ich in den
vergangenen zwei Jahren gemacht habe.«
»Ich habe deine Karriere verfolgt«, sagte sie. »Ich habe
bei deiner Wiederwahl – obwohl sie mich nicht überrascht
hat – auf dein Wohl getrunken. Ich habe an die zwölfmal
an dich geschrieben, als Janice starb, und die Briefe
wieder zerrissen. Es heißt, ich könne mit Worten gut
umgehen, aber es klang alles falsch … Es muß für dich
sehr schlimm gewesen sein.«
»Ja. Als feststand, daß Janice nicht mehr lange zu leben
hatte, beschränkte ich mein Arbeitsprogramm auf das
Notwendigste und verbrachte jede Minute, die ich
erübrigen konnte, mit ihr. Ich glaube, es hat ihr geholfen.«
»Da bin ich sicher.« Sie mußte fragen: »Sam, warum
hast du so lange mit deinem Anruf gewartet? Hättest du
mich überhaupt je wieder angerufen, wenn ich nicht nach
Washington gekommen wäre?«
Während sie auf seine Antwort wartete, verschwanden
um sie herum alle Hintergrundgeräusche und die Stimmen
der anderen Gäste, das leise Gläserklirren, die
verführerischen Düfte der Speisen, die getäfelten Wände
und die Zwischenwände aus Milchglas.
»Ich habe dich angerufen«, antwortete er, »mehrfach,
aber ich war stark genug, jedesmal wieder aufzulegen,
bevor dein Telefon läutete. Pat, als ich dich kennenlernte,
warst du gerade drauf und dran, dich zu verloben. Ich habe
dir das vermasselt.«
»Ob es dich nun gegeben hätte oder nicht, es wäre nicht
dazu gekommen. Rob ist ein netter Kerl, aber das ist nicht
genug.«
»Er ist ein gescheiter junger Rechtsanwalt mit einer
großen Zukunft. Du wärest heute mit ihm verheiratet,
wenn ich nicht gewesen wäre. Pat, ich bin achtundvierzig.
Du bist siebenundzwanzig. Ich werde in drei Monaten
Großvater. Du würdest mit Sicherheit Kinder haben
wollen, und ich habe einfach nicht die Kraft, noch einmal
eine Familie zu gründen.«
»Verstehe. Darf ich dich etwas fragen, Sam?«
»Natürlich.«
»Liebst du mich, oder hast du dir das auch ausgeredet?«
»Ich liebe dich so sehr, daß ich dir eine Chance geben
möchte, noch einmal jemanden in deinem Alter
kennenzulernen.«
»Und hast du selber schon jemanden in deinem Alter
gefunden?«
»Ich treffe mich mit niemandem im besonderen.«
»Verstehe.« Sie schaffte es zu lächeln. »Naja, nachdem
jetzt alles ausgesprochen ist, könntest du mir da nicht
diese schöne klebrige Nachspeise bestellen, nach der ich
bekanntlich ganz wild bin?«
Er wirkte erleichtert. Hatte er damit gerechnet, daß sie
ihm zusetzen würde? fragte sie sich. Er machte einen so
müden Eindruck. Wo war all der Elan geblieben, den er
noch vor zwei Jahren gehabt hatte?
Als er sie eine Stunde später zu Hause absetzte, fiel Pat
wieder ein, worüber sie noch mit ihm hatte sprechen
wollen. »Sam, ich habe letzte Woche im Büro einen
merkwürdigen Anruf erhalten.« Sie erzählte ihm davon.
»Bekommen Kongreßabgeordnete viele haßerfüllte Briefe
oder Anrufe?«
Er schien nicht sonderlich besorgt. »Nein, nicht so viele,
und wir nehmen sie alle nicht sehr ernst.« Er küßte sie auf
die Wange und lachte stillvergnügt in sich hinein.
»Mir ist gerade ein Gedanke gekommen. Vielleicht
sollte ich mal lieber mit Claire Lawrence reden und
herausfinden, ob sie schon mal den Versuch unternommen
hat, Abigail einzuschüchtern.«
Pat sah ihm nach, als er davonfuhr, dann schloß und
verriegelte sie die Tür. Das Haus bestärkte sie noch in dem
Gefühl der Leere. Das wird anders, wenn es möbliert ist,
sagte sie sich.
Ihr fiel etwas ins Auge, das auf dem Boden lag: ein
schlichter weißer Briefumschlag. Er mußte unter der Tür
durchgeschoben worden sein, als sie fort war. Darauf
stand in dicken schwarzen, stark von links nach rechts
gestellten Lettern ihr Name. Wahrscheinlich jemand vom
Maklerbüro, versuchte sie sich einzureden. Aber der
Umschlag war von der billigsten Sorte, und oben links in
der Ecke standen nicht, wie üblich, Name und Adresse des
Immobilienmaklers.
Sie riß ihn auf und zog das eine
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