Das Haus Am Potomac
begegnet. Sie hatte in dem trostlosen Wartezimmer der
Klinik gesessen, die Raggedy Ann -Puppe fest
umklammert, und hatte darauf gewartet, daß sie bei dem
Psychiater an die Reihe kam. Die Puppe hatte seine
Aufmerksamkeit erregt. Und irgend etwas hatte ihn dazu
bewegt, draußen auf sie zu warten.
Sie waren gemeinsam zum Bus gegangen. Er hatte ihr
erklärt, er wäre Priester, hätte aber die Arbeit in der
Gemeinde aufgegeben, um sich direkt um die Kranken zu
kümmern. Sie hatte ihm alles über sich selbst erzählt, daß
sie im Gefängnis gewesen war wegen eines Verbrechens,
das sie gar nicht begangen hatte, und daß ihre Strafe auf
Ehrenwort ausgesetzt sei und sie in einem möblierten
Zimmer wohne. »Ich darf in dem Zimmer nicht rauchen«,
hatte sie erzählt, »und auch keine Kochplatte haben, mit
der ich mir selbst einen Kaffee machen könnte oder eine
Suppe, wenn ich nicht in den Drugstore essen gehen will.«
Sie waren Eis essen gegangen, und es war allmählich
dunkel geworden. Sie hatte gesagt, es werde Zeit für sie;
die Frau, bei der sie wohnte, würde wütend werden. Dann
hatte sie angefangen zu weinen und geschluchzt, lieber
wäre sie tot, als daß sie wieder dorthin ginge. Und da hatte
er sie mit zu sich nach Hause genommen. »Du kommst als
Pflegekind zu mir«, hatte er ihr erklärt. Sie war ja auch ein
hilfloses Kind. Er hatte ihr sein Schlafzimmer überlassen
und selber auf der Couch geschlafen, und zu Anfang hatte
sie immer nur im Bett gelegen und geheult. Einige
Wochen lang war immer wieder Polizei in die Klinik
gekommen, um sich zu erkundigen, ob sie sich da habe
blicken lassen, dann hatten sie das Interesse an ihr
verloren.
Sie waren nach Baltimore umgezogen. Damals hatte er
ihr erklärt, er wolle sie als seine Tochter ausgeben. »Du
sagst ja sowieso Vater zu mir«, hatte er gemeint. Und er
hatte sie Gloria getauft.
Mit der Zeit begann es ihr allmählich besser zu gehen.
Aber beinahe sieben Jahre lang war sie nur nachts
hinausgegangen; so überzeugt war sie gewesen, daß ein
Polizist sie gleich erkennen würde.
Er hatte in der Umgebung von Baltimore in
verschiedenen Pflegeheimen gearbeitet, und dann hatten
sie vor zwei Jahren von da fort gemußt und waren nach
Alexandria gezogen. Glory fand es herrlich, in der Nähe
von Washington zu leben, aber sie hatte Angst, Leuten zu
begegnen, die sie kannten. Er hatte ihr klargemacht, daß
diese Angst unbegründet war. »Von den Mitarbeitern der
Senatorin würde niemals jemand in diese Gegend
kommen.« Trotzdem trug Glory immer eine Sonnenbrille,
wenn sie ausging. Nach und nach waren ihre depressiven
Anfälle nicht mehr so schlimm. Sie brauchte immer
weniger von den Medikamenten, die er aus dem
Pflegeheim mitbrachte, und sie hatte diese Stelle als
Stenotypistin angenommen.
Arthur aß den letzten Rest Popcorn. Er wollte
Washington nicht vor dem morgigen Abend verlassen,
nicht bevor er die Sendung über Senatorin Jennings
gesehen hatte. Er half nie jemandem ins Jenseits, solange
er nicht absolut sicher war, daß die Ärzte nichts mehr für
ihn tun konnten, und bis seine Stimmen ihm sagten, daß
die Zeit für denjenigen gekommen war. Er würde auch
Patricia Traymore nicht ohne Grund verdammen. Wenn
sie in der Sendung weder über Gloria reden, noch ihr Bild
zeigen würde, wäre Glory in Sicherheit. Er würde sich
irgendwo mit ihr verabreden, und sie würden zusammen
weggehen.
Aber wenn Glory vor der Welt als Diebin hingestellt
würde, würde sie sich aufgeben. Diesmal würde sie im
Gefängnis sterben. Dessen war er sicher. Er hatte genug
Menschen in seinem Leben gesehen, die ihren
Lebenswillen verloren hatten. Doch wenn es dazu kam,
würde Patricia Traymore für diese schreckliche Sünde
bestraft werden! Er würde zu dem Haus gehen, in dem sie
lebte, und ihr die gerechte Strafe erteilen.
N Street dreitausend. Schon das Haus, in dem Patricia
Traymore lebte, war ein Symbol für Leiden und Tod.
Der Film war zu Ende. Wohin sollte er jetzt gehen? Du mußt dich verstecken, Arthur.
»Aber wo?« Er merkte, daß er laut gesprochen hatte. Die
Frau vor ihm drehte sich nach ihm um.
N Street dreitausend, flüsterten die Stimmen in ihm. Geh
doch dahin, Arthur. Steig wieder durch das Fenster ein.
Denk an den Einbauschrank.
Der Gedanke an den Einbauschrank in dem unbenutzten
Schlafzimmer nahm sein ganzes Denken in Anspruch.
Hinter den Fächern dieses Schrankes hätte er ein warmes
und sicheres Versteck. Im
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