Das Haus Am Potomac
Wisconsin Avenue war ein Kino, das um zehn
Uhr aufmachte. Arthur ging in eine Cafeteria, die in der
Nähe lag, trank einen Kaffee, wobei er sich viel Zeit ließ,
und trödelte dann in der Nachbarschaft herum, bis die
Kinokasse geöffnet wurde.
Wenn er innerlich aufgewühlt war, ging er gerne ins
Kino. Er setzte sich immer ziemlich weit nach hinten an
die Wand. Und er kaufte sich immer eine große Tüte
Popcorn, saß dann da und aß und sah, ohne zu sehen, wie
sich Gestalten auf der Leinwand bewegten.
Er mochte es, Leute in seiner Nähe zu spüren, ohne daß
sie ihn wahrnahmen, mochte die Stimmen und die
musikalische Untermalung und die Anonymität im
dunklen Zuschauerraum. Das war für ihn die richtige
Umgebung, um nachzudenken. Nun machte er es sich
bequem und starrte leeren Blickes auf die Leinwand.
Es war falsch gewesen, das Feuer zu legen. Es hatte
nichts darüber in der Zeitung gestanden. Nachdem er aus
der Metro ausgestiegen war, hatte er im Pflegeheim
angerufen, und es hatte sich gleich die Telefonistin
gemeldet. Er hatte mit gedämpfter Stimme gesprochen.
»Ich bin der Sohn von Mrs. Harnick. Wie gefährlich war
das Feuer?«
»Oh, Sir, es wurde sofort entdeckt. Nur eine Zigarette,
die in einem Müllsack schwefelte. Wir wußten gar nicht,
daß einer von den Besuchern etwas davon mitbekommen
hat.«
Das hieß, daß sie die umgekippte Dose Terpentin
entdeckt hatten. Kein Mensch würde glauben, daß sie von
allein umgekippt war.
Wenn er doch nur nichts von dem Kloster erwähnt hätte.
Natürlich würde man da im Büro vielleicht nur die
Auskunft geben: »Ja, aus unseren Unterlagen ist
ersichtlich, daß Arthur Stevens mal für kurze Zeit bei uns
war.«
Und wenn sie Genaueres zu wissen verlangten? »Er
verließ uns auf Empfehlung seines geistlichen Beraters.«
»Könnten wir seinen geistlichen Berater mal sprechen?«
»Er ist vor einigen Jahren gestorben.«
Würde man ihnen verraten, warum man ihn aufgefordert
hatte, auszuscheiden? Würden sie in den Akten des
Pflegeheims nachsehen, welche Patienten in den letzten
Jahren gestorben waren und wie viele davon er als Pfleger
mitbetreut hatte? Sie würden mit Sicherheit nicht
verstehen, daß er es nur gut meinte, daß er sie nur von
ihren Leiden erlösen wollte.
Er war schon zweimal verhört worden, nachdem
Patienten unerwartet verschieden waren.
»Waren Sie froh, daß sie starben, Arthur?«
»Ich war froh, daß sie ihre Ruhe fanden. Ich tat alles
Menschenmögliche, um ihnen zu helfen, wieder gesund zu
werden, oder damit sie es wenigstens bequem hatten.«
Wenn es keine Hoffnung mehr gab, keine Linderung der
Schmerzen, wenn die alten Leute sogar zu schwach waren,
um zu flüstern oder zu stöhnen, wenn die Ärzte und
Verwandten sich darin einig waren, daß es ein Segen
wäre, wenn Gott sie zu sich nähme, dann – und nur dann –
half er ihnen, zu sterben.
Wenn er gewußt hätte, daß Anita Gillespie den Besuch
ihrer Tochter erwartete und sich darauf freute, hätte er
noch gewartet. Es hätte ihn so gefreut, Mrs. Gillespie
glücklich sterben zu sehen.
Das war das Problem. Sie hatte sich gegen den Tod
gewehrt, hatte ihn nicht herbeigesehnt. Darum war sie zu
erschrocken gewesen, um zu begreifen, daß er ihr nur
helfen wollte.
Die Sorge um Glory hatte ihn so unvorsichtig handeln
lassen. Er konnte sich noch an den Abend erinnern, als die
Sorgen anfingen. Sie hatten gemeinsam zu Hause zu
Abend gegessen und jeder dabei einen Teil der Zeitung
gelesen, und Glory hatte geschrien: »Oh, du lieber
Himmel!« Sie hatte die Fernsehseite der Tribune vor sich
und war auf die Vorankündigung der Sendung über
Senatorin Jennings gestoßen. Darin sollte unter anderem
über die wichtigsten Momente in ihrer Laufbahn berichtet
werden. Er hatte Glory gebeten, sich nicht aufzuregen;
hatte ihr versichert, es würde alles gutgehen. Aber sie
hatte nicht hingehört. Sie hatte angefangen zu schluchzen.
»Vielleicht ist es besser, sich damit abzufinden«, hatte sie
gesagt. »Ich habe auch keine Lust, weiter ein solches
Leben zu führen.«
Gleich danach hatte sie begonnen, sich zu ändern. Er
starrte vor sich hin, kaute gedankenverloren Popcorn. Man
hatte ihm nicht das Privileg gewährt, formell den
Priestereid abzulegen. Doch er hatte ihn für sich selbst
abgelegt. Hatte Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobt.
Er hatte nie eines dieser Gelübde gebrochen – aber er war
immer so einsam … Dann war er vor neun Jahren Glory
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